Ein Grundmuster mit Variationen zieht sich als roter Faden durch die antike Mythologie, Märchen und Kunst: die von Natur aus Schöne, deren wahre Schönheit sich in der Tugend gepaart mit Weisheit sowie in der Reinheit der Seele zeigt, verwandelt durch die Liebe den äußerlich abstoßenden Partner in das Ebenbild des Schönen. Sehr oft ist dabei aber die Verführung nur ein Mittel zum Zweck. Ein unerschöpfliches Thema in Zusammenhang mit dem Schönen und dem Hässlichen ist der hohe Stellenwert der Erotik, die zu vielerlei Konflikten führt, und von der Antike an durch das Kunstschaffen der Jahrhunderte zu Darstellungen beflügelt. "La Belle et la Bête" – ein Thema für die Ewigkeit!
Thema der Arbeit ist die Analyse eines unumstritten von der Hand Vermeers stammenden, um 1660 gemalten, heute im Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig hängenden Gemäldes, das dort als "Mädchen mit dem Weinglas" bezeichnet wird. Wie so viele andere Bilder mutierte auch dieses im Zuge des emblematic turn der Kunstgeschichte zu einem Medium moralischer Warnung. Die Hauptperson wurde zu einer von zwei Dandys besuchten „Dame von zweifelhaftem Ruf“, während allen Dreien eine in der Glasmalerei des Fensters versteckte temperantia ihren Maßhalteappell zurief. Die malerischen Eigenschaften des Bildes interessierten bestenfalls am Rande. Im Gegensatz dazu geht die vorliegende Untersuchung von der visuellen Analyse des Gemäldes aus. Sie arbeitet die bildimmanente Bewegung heraus, die dem Strom des Lichtes folgend von links oben in die diagonal gegenüber liegende Bildhälfte führt, um dort aufgefangen und in die Faltenlandschaft des roten Satin transformiert zu werden. Diese Bewegung verläuft nicht geradlinig und ruhig, sondern über Barrieren und Sprünge hinweg, nicht im gleichmäßigen Fließen, eher in Kaskaden und Wirbeln. Kunstvoll verknüpft Vermeer die Bildelemente in einer dynamischen coniunctio oppositorum, die ebensosehr Verbindungen wie zugleich Spannung, Sperren und Brüche zwischen den Elementen formuliert. In einem zweiten Schritt wird die Szene im Kontext der gesellschaftlichen Schicht und der sozialen Normen der dargestellten Personen interpretiert. Das Ergebnis ist, dass wir hier eine ganz normale Werbungsszene vor uns haben, deren revolutionärer Zug allerdings darin besteht, dass die Umworbene den üblichen Gang der Ereignisse unterbricht, indem sie sich lachend aus dem Bild wendet. Vermeer billigt der noch sehr jungen Frau visuell und szenisch eine Kraft und Handlungsfähigkeit zu, an die seine späteren Konstruktionen von autonomer Weiblichkeit anknüpfen werden. Es zeigt sich, dass die formalen und inhaltlichen Elemente des Gemäldes aufs engste aufeinander bezogen sind. Die beiden Leitthemen sind - verkürzt gesagt - Verbindung und Unterbrechung sowohl auf rein visueller wie auf szenischer Ebene. Von Moralpredigt findet sich keine Spur, eher umgekehrt ein Plädoyer für die Eroberung eines Möglichkeitsraumes weiblichen Verhaltens jenseits der durch die Konvention gesetzten Grenzen - in Parallele gesetzt zu einem Möglichkeitsraum des beweglich strömenden Lichts. Vermeer zwingt den Betrachter zu aktiver Teilnahme am Bildgeschehen, indem er - ihn fesselnd durch die Licht-Ereignisse - ihn zugleich dazu zwingt, nachzusinnen über die möglichen Ursachen und Konsequenzen der Unterbrechung der Szene durch die junge Frau (oder den Betrachter selbst?). Dabei zeigt sich Vermeer auch von seiner weniger bekannten Seite als warmzherzig-humorvoller Beobachter aufs Sorgfältigste konstruierter visueller Phänomene und menschlicher Verhaltensweisen. Mit einem Hauch von Ironie spielt er mit emblematischen Bezügen, die freilich im Bildzusammenhang nur eine Randrolle einnehmen. Der Text ist die schriftliche, mit Anmerkungen und Belegen versehene Fassung eines Vortrages aus dem Jahre 2007, erschienen 2010 in dem von Victoria von Flemming und Alma-Elisa Kittner herausgegebenen Sammelband "Barock - modern?", Salon-Verlag, Köln.
Auf den Ceasarteppichen des Historisches Museums in Bern, entst. in Tournai um 1465/70, bilden die dargestelten Wolkenformationen Fische, Drachen und Schaefchen. Sind dies Beispiele fuer eine fruehe Kenntnis von Kunsttheorien der italienischen Renaissance noerdlich der Alpen? Mitnichten. Es handelt sich um daemonische Wesen, die der Vorstellungswelt des Mittelalters entstammen und das tragische Schicksal des Helden verfolgen.