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Bildung und Bildungswesen im Spannungsfeld des sozioökonomischen Wandels Ostmitteleuropas - Eine bildungsgeographische Untersuchung des tschechischen Bildungswesens zwischen Kontinuität und Neuorientierung

Preusker, Christina

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PDF, German
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Abstract

Bildung ist bereits seit vielen Jahrhunderten Motor des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts, aber ebenso zentrales Mittel politischer Machtausübung und Auslöser sozialer Differenzierungsprozesse. Die Bedeutung des Begriffs variierte ebenso wie die Entwicklung und Gestaltung des Bildungswesens und der Bildungseinrichtungen je nach „spezifischem räumlichen Kontext, der durch historische, soziale, politische, kulturelle und ökonomische Rahmenbedingungen geprägt ist“ (Freytag & Jahnke 2015, 83) – und dies gilt bis heute. Trotz gesamtpolitischer Regularien gelang und gelingt es der Bildung und ihrer gesellschaftlichen Akteure immer, auch nationale kulturelle Relikte und Bildungstraditionen fortzuführen und im Zweifelsfall sogar aktiv zu verteidigen.

Die Tschechische Republik bietet in diesem Spannungsfeld, weit über den Modellcharakter eines Transformationsstaates hinaus, einen Unterschungsgegenstand, der seitens der historischen Bildungsgeographie bislang vernachlässigt wurde. Das dialektische Verhältnis zwischen Bildung, Wirtschaft und Politik ist dort seit Jahrhunderten unverkennbar und weist spezifische historische, gesellschaftliche, kulturelle und pädagogische Traditionen auf. Oftmals wurden Bildung und Bildungswesen instrumentalisiert und übergeordneten politischen Zielen oder wirtschaftlichen Bedarfen angepasst, die sich nach den regionalen Veränderungen Europas und dem Wechsel von Machtverhältnissen richteten.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, diese komplexen Fragestellungen für das tschechische Bildungswesen vor dem Hintergrund des jeweiligen, politisch motivierten Kontextes zu untersuchen. Der enge Zusammenhang der Bildungsgeographie mit benachbarten Disziplinen wie der Bildungswissenschaft und Bildungssoziologie und insbesondere der Sozial-, Wirtschafts-, Kultur-, Bevölkerungs- und auch der Politischen Geographie wird bereits an dieser Stelle deutlich. Der Versuch einer vollständigen Darstellung des Wandels des Bildungsbegriffs und des Bildungswesens Tschechiens kann daher nur auf Grundlage einer breiten humangeographischen Perspektive, das heißt unter Berücksichtigung räumlicher und sozioökonomischer Einflussfaktoren wie Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, Kultur und deren sozialräumlichen Zusammenhängen geschehen. Der interdisziplinäre bildungsgeographische Blick auf die Entwicklung des tschechischen Bildungswesens über mehrere Jahrhunderte hinweg ist neu und als bislang einmalig zu betrachten. Die vorliegende Dissertation bildet damit einen Beitrag zur Grundlagenforschung der historischen Bildungsgeographie auf einer breiten humangeographischen Basis und trägt neben der Untersuchung ideologischer Einflüsse auf das tschechische Bildungswesen auch zur Darstellung der Herausbildung einer nationalen kulturellen Identität bei, die auf die historische Verankerung spezifischer Normen, Werte und Verhaltensmuster reagiert und individuelles Bildungsverhalten maßgeblich beeinflusst.

Die Struktur der vorliegenden Arbeit orientiert sich entlang von Umbruchphasen, Reformen und Veränderungen in der Bildungsgesetzgebung, die in der Regel an eindeutige politische Umwälzungen gebunden waren.

Entsprechend der politischen Umbruchphasen und dort teils weit auseinanderklaffender Einflussfaktoren auf das Bildungswesen und auch das Bildungsverhalten einzelner Akteure kann sich der theoretisch-konzeptionelle Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht nur einem Erklärungsversuch widmen. Vielmehr werden unterschiedliche, in den entsprechenden Epochen maßgebliche theoretische Konstrukte herangezogen und für Tschechien diskutiert. Zusammengenommen und in ihrer historischen Abhängigkeit betrachtet spielen modernisierungstheoretische Überlegungen, die Humankapitaltheorie und die entsprechenden Weiterentwicklungen im Rahmen der rational-choice-Theorien eine ebenso relevante Rolle wie marxistische Ansätze, konflikttheoretische Ansätze und die damit verbundene Theorie der kulturellen Reproduktion sowie handlungszentrierte Ansätze. Auf diese Weise ergeben sich einige Fragestellungen, welche die engen und vielfältigen Querverbindungen im Spannungsfeld von Bildungsgeographie, Politischer Geographie und Neuer Kulturgeographie verdeutlichen.

Um dabei der ganzheitlichen Sichtweise der bildungsgeographischen Forschung Rechnung zu tragen, wird den jeweiligen historischen Kapiteln eine fundierte Beschreibung der politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen vorangestellt, stets mit Blick auf jene Faktoren, die die Entwicklung des Schul- und Hochschulwesens maßgeblich beeinflussen. Die Kapitel beschreiben daher zunächst den historischen und sozioökonomischen Rahmen der Entwicklung des tschechischen Bildungswesens. Dazu gehören ebenso Eckpunkte innen- und außenpolitischer Entscheidungswege, wirtschaftliche Prozesse und gesellschaftliche Entwicklungen, in die die bildungspolitischen Zielvorgaben eingebettet sind. Zur Beschreibung der Organisation des Bildungswesens werden die jeweiligen Bildungsziele sowie die rechtlichen Rahmen, die Verwaltung und Finanzierung des Schul- und Hochschulsystems beschrieben. Überblickartig werden der Schulaufbau vorgestellt, die Formen der Differenzierung diskutiert und die Übergangsverfahren zwischen Schulstufen und Schultypen, die Frage der Abschlüsse und Berechtigungen beschrieben. Das Verhältnis von staatlicher Steuerung und Eigenverantwortung der Schulen steht dabei im Zentrum der Betrachtungen. Übergreifende Fragen sind die Ziele, die Curricula, die Unterrichtsgestaltung und auftretende Probleme sowie Fragen der Lehrerbildung. Ebenso wird ein Blick auf die Hochschulbildung und wo möglich auf die außerschulische Berufsbildung gelegt. Eine besondere Rolle spielt in allen Epochen das Verhältnis von Staat und Schule, die Behandlung von Minderheiten und Probleme der Schulstruktur. Die Auswahl der jeweiligen thematischen Schwerpunkte wurde entlang der für die Epochen besonders relevanten Aspekte getätigt. Im Fokus stehen zudem diejenigen Bildungstraditionen, kulturellen Normen und Werte, die sich wie ein roter Faden durch die Bildungsgeschichte Tschechiens ziehen sollten und bis heute präsent sind.

Das tschechische Bildungswesen blickt auf eine lange Tradition zurück und verzeichnet seinen ersten Höhepunkt mit der Gründung der Prager Karls-Universität 1348. Ihren ersten Schwerpunkt legen die Untersuchungen auf die neuzeitliche Entwicklung eines verpflichtenden Volks- und Mittelschulwesens zu Zeiten der tiefgreifenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen der Habsburger-Monarchie. Nach 1918 werden die neuen Voraussetzungen in einem selbstständigen Staatssystem beleuchtet. Die Nationalitätenfrage wurde hierbei zu einem wesentlichen Aspekt. Einen besonderen Schwerpunkt bildet die Deskription und Analyse des sozialistischen Bildungswesens – das Wechselspiel zwischen Politik und Gesellschaft, Wissen und Macht lässt sich bei der Analyse des betreffenden Zeitraums eindrucksvoll nachvollziehen. Mit einer abschließenden Betrachtung der bildungs-(politischen) Umwälzungen und neuen Differenzierungen unter dem Dach des „vereinten“ Europa nach 1989 ist der Rahmen der Betrachtung des tschechischen Bildungswesens zwischen Kontinuität und Neuorientierung geschlossen. Die Grundlagen, die hierfür in den Jahrhunderten tschechischer Bildungstradition geschaffen wurden und das Bildungssystem bis heute prägen, werden dabei deutlich nachvollzogen.

In einer abschließenden Zusammenschau der Einflussfaktoren auf das individuelle Bildungsverhalten in Tschechien wird die These aufgestellt, dass dieses vorrangig – und das in besonderem Maße in totalitären Systemen – von den übergeordneten Rahmenbedingungen, das heißt der Bildungspolitik, entsprechenden politischen Ideologien und gesellschaftlichen Normen und Wertevorstellungen, gesteuert wird. Das Bildungsverhalten äußert sich somit vor den ökonomischen, politischen und kulturellen Voraussetzungen eines Gesellschaftsystems, welches in Tschechien stets im Rahmen einer territorialen Raumkonstruktion entstanden ist, auf unterschiedliche Weise. Das Verhältnis zwischen den Einflussfaktoren ist immer ein dynamisches Konstrukt, das sich rekursiv aufeinander bezieht und in unterschiedlichen Systemen vollkommen different ausgebildet sein kann. Besonderen Einfluss übt hierbei die Herausbildung der kulturellen Identität aus, die über Jahrhunderte hinweg stets in einem Spannungsfeld zwischen Selbst- und Fremdbestimmung lag und aufzeigt, wie machtvoll und doch zerbrechlich auf politisch-konstruierten Territorien basierende Identitätskonzepte sind. Sie bestimmen (geo-)politische Diskussionen und Praktiken, wirtschaftliche Abhängigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungslinien, kulturelle Normen und Einstellungen –- auch zur Bedeutung von Bildung im individuellen Lebenskontext. Aufgrund ihrer gegenseitigen Bedingtheit vermag einerseits das Bildungswesen die gesellschaftliche Struktur zu erklären, umgekehrt kann aber auch von der gesellschaftlichen Situation auf die Struktur des Bildungswesens geschlossen werden. In der jeweiligen Situation des Bildungswesens spiegeln sich somit vorherrschende gesellschaftliche und räumliche Strukturmuster und Machtverhältnisse wider (Meusburger 1998). Eine Tatsache, die bis heute gilt und das Bildungswesen zum Spiegelbild und dem zentralem Faktor von Untersuchungen gesellschaftlichen Wandels macht.

Document type: Dissertation
Supervisor: Freytag, Prof. Dr. Tim
Place of Publication: Heidelberg
Date of thesis defense: 24 November 2015
Date Deposited: 08 Dec 2015 08:15
Date: 2015
Faculties / Institutes: Fakultät für Chemie und Geowissenschaften > Institute of Geography
Controlled Keywords: Bildung, historische Bildungsgeographie, Tschechien
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