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Die habituelle Gehgeschwindigkeit als Indikator für Veränderungen der funktionellen und kognitiven Fähigkeiten bei Menschen mit Demenz

Hoell, Andreas

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Abstract

Explizit widmete sich die vorliegende Arbeit den nachfolgenden Fragestellungen: Ist die Gehgeschwindigkeit bei Demenzkranken ein veränderungssensitives Maß, d.h., lässt sich ein Cut-off für eine bedeutende Veränderung der Geschwindigkeit über die Zeit identifizieren? Hat die bedeutende Veränderung der Gehgeschwindigkeit einen signifikanten Einfluss auf die globale Kognition, die funktionellen Fähigkeiten, die Lebensqualität und die nicht-kognitive Symptomatik bei stationär versorgten Demenzkranken? Wirken sich die körperliche Aktivität respektive die körperliche Inaktivität auf die Beziehung zwischen Gehgeschwindigkeit und globaler Kognition sowie funktionellen Fähigkeiten aus?

Die vorliegende Arbeit entstand vor dem Hintergrund des Gesamtevaluationsprojektes zur Prüfung der Wirksamkeit der Implementierung des Qualitätsniveaus I. bei Menschen mit Demenz in stationärer Pflege. In die Gesamtevaluation wurden insgesamt 2.128 Bewohner eingeschlossen. Zusätzlich wurde eine vertiefende prospektive Beobachtung an 296 Bewohnern mit Demenz durchgeführt, die zufällig aus der Gesamtzahl an Bewohnern ausgewählt wurde. Für die vorliegende Studie wurden im Sinne einer Sekundäranalyse 101 Bewohner aus der vertiefenden prospektiven Beobachtungsstudie extrahiert. Einschlusskriterien für die Sekundäranalyse waren das Vorliegen von Demenzsymptomatik anhand der Dementia Screening Scale und Gehfähigkeit zur Baseline und Follow-up. Das Follow-up erfolgte durchschnittlich 16 Monaten nach der Baseline. Zur Messung der Outcomes kamen folgende Instrumente zur Anwendung, die von Bezugspflegekräften eingeschätzt wurden: Rivermead Mobility-Index zur Messung der funktionell-mobilitätsbezogenen Fähigkeiten, Quality of Life in Late-Stage Dementia zur Beurteilung der Lebensqualität und das Neuropsychiatrische Inventar zur Messung der Schwere und Häufigkeit nicht-kognitiver Symptomatik. Die globale Kognition wurde mittels Strukturiertem Interview zur Demenzdiagnostik direkt am Bewohner erfasst. Das strukturierte Interview enthielt den Mini Mental Status Test. Außerdem wurde während der 16 Monate monatlich ein Mobilitäts-Check auf der Basis des Rivermead Mobility-Index durchgeführt. Zu beiden Messzeitpunkten wurde die Gehgeschwindigkeit ermittelt und die körperliche Aktivität mit einem Beschleunigungssensor aufgezeichnet. Dazu wurden die Durchschnittswerte der Gehaktivitäten (Anzahl an Schritten, Inaktivitätszeit und Zeit mit moderater Gehintensität jeweils in Minuten) von drei aufeinanderfolgenden Tagen ausgewertet.

Mittels einer Kriteriums-basierten Methode wurde die Responsivität für die Veränderung der Gehgeschwindigkeit berechnet (Ermittlung des kleinsten (klinisch) bedeutsamen Unterschieds). Der identifizierte Cut-off, der eine bedeutende Änderung der Gehgeschwindigkeit anzeigen sollte, wurde zur Trennung des Samples in Bewohner mit einer bedeutenden Abnahme und geringen Abnahme der Gehgeschwindigkeit herangezogen. Auf dieser Grundlage wurden alle statistischen Testungen für die Outcomes durchgeführt. Als Testverfahren zur Prüfung des Einflusses des Cut-offs auf die monatlichen Veränderungen der Mobilitäts-Checks wurde ein multivariates Modell mit Messwiederholungen herangezogen. Zur Prüfung des Einflusses des Cut-offs auf die verbleibenden Outcomes, die zweimalig zur Baseleine und zum Follow-up gemessen wurden, wurden multivariate verallgemeinerte lineare gemischte Modelle gerechnet. Als Kovariaten dienten Alter, Geschlecht, Ausmaß an Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten, Demenzschweregrad, Messzeitpunkte, Vorliegen depressiver Symptomatik und Teilnahme an der Implementierung des Qualitätsniveaus I. Die Mediator-Analysen für die kognitiven und funktionellen Outcomes wurden unter Berücksichtigung der Bewegungsaktivitäten mittels Ordinary Least Square Pfad-Analysen durchgeführt.

Der Cut-off zur Identifikation einer bedeutenden Abnahme der Gehgeschwindigkeit im Beobachtungszeitraum lag bei 0,07 m/s mit einer Fläche unterhalb der Receiver Operating Characteristics Kurve von 0,71, einer Sensitivität von 0,77 und Spezifität von 0,64. Anhand des Cut-offs konnten 63 Bewohner identifiziert werden, die eine bedeutende Abnahme der Gehgeschwindigkeit aufwiesen. D.h., deren Gehgeschwindigkeit reduzierte sich über die Zeit um mindestens 0,07 m/s. Die verbleibenden 38 Bewohner wurden der Gruppe mit einer geringen Abnahme der Gehgeschwindigkeit zugewiesen, weil sich deren Geschwindigkeit um weniger als 0,07 m/s im Beobachtungszeitraum reduzierte. In der Gruppe mit einer bedeutenden Abnahme der Gehgeschwindigkeit waren zur Baseline einzig die Häufigkeiten des Vorliegens eines neuropsychiatrischen Syndroms und depressiver Symptomatik höher als in der anderen Gruppe. Ansonsten unterschieden sich die beiden Gruppen hinsichtlich soziodemographischer, krankheits- und pflegespezifischer Charakteristika nur unbedeutend voneinander. Das Ausmaß an alltäglichen Bewegungsaktivitäten war bei Pflegeheimbewohner mit Demenz zu beiden Messzeitpunkten äußerst gering; das Ausmaß an Inaktivität dementsprechend sehr hoch. Das Gros der Bewohner wies ein körperliches Aktivitätsniveau auf, welches sich unterhalb der definierten Grenzwerte für gesunderhaltende Effekte älterer Menschen bewegte. Nach 16 Monaten ließen sich sowohl eine Zunahme der Inaktivitätszeit als auch eine Abnahme der alltäglichen Bewegungsaktivitäten beobachten. Die Gruppe mit einer bedeutenden Abnahme der Gehgeschwindigkeit unterschied sich in allen Bewegungsparametern signifikant von der Gruppe mit einer geringen Abnahme. Anhand multivariater Testungen konnte ein signifikant schlechterer Verlauf der monatlich gemessenen funktionellen Fähigkeiten in der Gruppe mit einer bedeutenden Abnahme der Gehgeschwindigkeit nachgewiesen werden. Diese signifikante Reduktion der funktionellen Fähigkeiten bestätigte sich ebenfalls im multivariaten verallgemeinerten gemischten linearen Modell. Ebenfalls konnten anhand dieser Modelle bedeutende Veränderungen zwischen den Gruppen für die globalen kognitiven Fähigkeiten, die Lebensqualität und die nicht-kognitive Symptomatik festgestellt werden. Die negativen Veränderungen, d.h. die Abnahme der Leistungsfähigkeit bezogen auf die globale Kognition und die funktionellen Fähigkeiten sowie die Abnahme der Lebensqualität und die Zunahme der nicht-kognitiven Symptomatik setzten sich ausschließlich in der Gruppe der Bewohner mit einer bedeutenden Abnahme der Gehgeschwindigkeit fort. Hingegen waren diese Verläufe bei den Bewohnern mit einer geringen Abnahme der Gehgeschwindigkeit weitaus weniger gravierend bzw. die negativen Veränderungen blieben aus. Anhand multivariater Pfad Analysen konnte ausschließlich für die funktionellen Fähigkeiten festgestellt werden, dass das Ausmaß an Inaktivität den Effekt der Abnahme der Gehgeschwindigkeit auf ein nicht signifikantes Niveau reduzierte. Dabei wurde der Mediationspfad der Inaktivität signifikant. Die globale Kognition wurde einzig durch die Abnahme der Gehgeschwindigkeit signifikant beeinflusst.

Die hier berechneten Werte für die Präzision (Standardmessfehler und kleinster nachweisbarer Unterschied) der Gehgeschwindigkeit bei Menschen mit Demenz stimmen genau mit berichteten Werten aus der Literatur überein. Es wurde festgestellt, dass ein Verlust der Gehgeschwindigkeit von 7 cm/s (0,07 m/s) und mehr im Untersuchungszeitraum als bedeutende Abnahme angesehen werden konnte. Die Responsivität (kleinster bedeutende Unterschied) der Gehgeschwindigkeitsänderung ist ausreichend hoch, wobei die ermittelte Falsch-Positiv Rate nicht zu vernachlässigen ist. Dennoch zeigt sich, dass das Klassifikationsmaß (Cut-off) von 0,07 m/s ausgezeichnet mit den Verläufen der funktionellen und kognitiven Fähigkeiten einhergeht. Hier werden demnach Prozesse beschreibbar, wonach die davon betroffenen Menschen mit Demenz einen fortschreitenden Verlust der Autonomie bzw. eine vollständige Abhängigkeit hinnehmen müssen. Diese Prozesse sind begleitet durch eine Verschlechterung der Lebensqualität und der nicht-kognitiven Symptomatik. Darüber hinaus ist eine bedeutende Abnahme der Gehgeschwindigkeit mit einer gravierenden Erhöhung der Inaktivitätszeit verbunden. Eine hohe Inaktivität wiederum wirkt sich reduzierend auf die funktionellen Fähigkeiten aus. Bei Bewohnern mit Demenz, bei denen keine oder nur eine geringe Abnahme der Gehgeschwindigkeit zu verzeichnen sind, scheinen sich alle oben genannten Prozesse nicht oder nur unterschwellig fortgesetzt zu haben. Ein möglicher Grund für diese unterschiedlichen Verläufe könnte mit den stark erhöhten energetischen Kosten des Gehens verbunden sein, die durch die zunehmende Ineffizienz der afferenten und efferenten Bahnen der Gehirn-Muskel-Verbindungen und der fortschreitenden Dysregulationen der motorischen Kontrolle im Kleinhirn und präfrontalen Kortex bei Demenzkranken auftreten. Die hohen energetischen Kosten treffen auf eine reduzierte Energieverfügbarkeit, wobei sich automatisch die Energieeffizienz verschiebt. Das bedeutet, es müssen prozentual gesehen mehr Energieressourcen bereitgestellt werden, um Gehaktivitäten auszuführen. Dadurch, dass sich der Körper unbedingt vor einer Verschwendung der Energie schützt, die insbesondere das autonome System angreifen könnte, werden über zentralnervöse Regelkreise diese Energieressourcen einbehalten. Das limitiert die Gehfähigkeit, sprich reduziert die Gehgeschwindigkeit und verringert die körperlichen Aktivitäten, sprich erhöht die Inaktivität. Dieser Teufelskreis verringert die funktionellen und motorischen Fähigkeiten, limitiert die Alltagsaktivitäten und begrenzt fortlaufend den sozialen Interaktionsradius der Demenzkranken. Das führt zu einer Abnahme der Lebensqualität. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen und weitere Dekompensationen zu verhindern, ist es unbedingt notwendig, dass kontinuierliche Bewegungsprogramme für Demenzkranke in stationären Einrichtungen etabliert werden. Diese Bewegungsprogramme sind an die Empfehlungen zur Gesunderhaltung älterer Menschen auszurichten.

Document type: Dissertation
Supervisor: Salize, Pro. Dr. Hans Joachim
Place of Publication: Heidelberg
Date of thesis defense: 4 April 2019
Date Deposited: 02 May 2019 11:41
Date: 2019
Faculties / Institutes: Medizinische Fakultät Mannheim > Dekanat Medizin Mannheim
Service facilities > Zentralinstitut für Seelische Gesundheit
DDC-classification: 610 Medical sciences Medicine
Controlled Keywords: Kognition, Gehfähigkeit, Körperliche Aktivität, Pflegeheim
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