eprintid: 306 rev_number: 5 eprint_status: archive userid: 2 dir: disk0/00/00/03/06 datestamp: 2007-05-31 08:37:30 lastmod: 2013-11-06 10:25:53 status_changed: 2007-06-11 09:11:40 type: article metadata_visibility: show creators_name: Taruashvili, Leonid Iosifovich title: Vitruv als Kunstkritiker und Mensch der Antike title_en: Vitruvius as an Art Critic and the Man of Antiquity ispublished: pub subjects: ddc-700 divisions: i-20 keywords: Vitruvius , Mural painting , Ancient Rome , Art criticism , Classicism , Grotesques cterms_swd: Vitruvius cterms_swd: Wandmalerei cterms_swd: Römisches Reich, Kunstkritik, Klassizismus, Groteske abstract: Vitruv als Kunstkritiker und Mensch der Antike Der die Probleme der Wandmalerei in 7. Buch seines berühmten Traktats erörternde römische Baukünstler und Ingenieur Vitruv (1. Jh. v. Chr.) weist entschieden solche Art der Innenraumbemalung zurück, die sehr à la mode in seiner Zeit wurde und heute unter dem Namen Grotesken weit bekannt ist. In Erwägung der im Traktat vorherrschenden klassischen Einstellung könnte man diese Abneigung des Autors gegen Erzeugnisse unregelmäßiger und alogischer Einbildungskraft als seinerseits ganz gesetzmäßigen und zu erwartenden Rückschlag betrachten. Es ist kein Wunder, dass Vitruv die Grotesken genau für augenscheinliches Fehlen der Lebensähnlichkeit missbilligt, die letzte sei doch von dem Gesichtspunkt der klassischen Ästhetik betrachtend eine wesentliche Eigenschaft der wahren Bildkunst. Wunderbar ist, daß Vitruv, indem er folgenden Schritt macht und riesige Popularität der Grotesken erläutern versucht, sofort in krassen Widerspruch mit seiner eigenen Alltagserfahrung gerät. Denn er behauptet kategorisch, dass die Künstler sowie Kunstliebhaber darum sich durch Grotesken begeistern, dass sie Unwahrscheinlichkeit solcher Gestalten selbständig (d.h. wenn sie der Aufklärungen seitens der ihm ähnlichen Literaten entbehren) einzusehen nicht imstande sind. Weil aber diese Unwahrscheinlichkeit (d.h. die auf dünnen Rohrstängeln ruhende Dächer der Häuser oder aus der zarten Blumen wachsende Statuetten) ohnehin anschaulich ist, muss dieser Vitruvs Urteil präsumieren, dass sie alle nicht einfach Dummköpfe, sondern schwachsinnige, hilflose und lebensunfähige Ebenbilder der Folklorenarren (in der Art von Schildbürgern) seien. Ist solche seltsame Prämisse des gelehrten Autors vereinbar mit allem, was ihm über diese Erbauer der römischen Größe, die bis jetzt für ihren gesunden Menschenverstand, Umsicht sowie Unternehmungsgeist mit Recht gepriesen wird, ohne Zweifel bekannt war? Gewiss nein. Aber wenn dem so ist, warum er dann diese offenbar unbillige These als Grundlage für seine Erwägungen sicher benutzt? Auf diese Frage zu antworten heißt das Licht auf Hauptursache sowohl des nachfolgenden Verfalls der klassischen Kultur in der Antike als auch des allmählichen Vergessens des klassischen Erbes in modernen Zeiten zu werfen. Erstens muss betont werden, dass es keine logische Notwendigkeit gibt, die den Vertreter der klassischen Ästhetik, möge er ein radikalster sein, aus eigenen Prinzipien irgendeinen abschätzigen Schluss betreffend geistige Fähigkeiten solcher Menschen zu ziehen verbindet, die seine ästhetischen Ab- und Zuneigungen nicht teilen. Auch die folgerichtigste Kritik der antiklassischen Kunstrichtungen kann sich mit dem, was man Präsumtion der geistigen Vollwertigkeit bezeichnen darf, ganz natürlicherweise vereinigen. Ein der solche Möglichkeit bestätigenden Beispiele ist die zeitlich von uns noch nicht zu lange entfernte H. Sedlmayrs Kritik der Avantgarde, die als erbarmungslos gegenüber Phänomen selbst, doch dabei gar nicht erniedrigend gegenüber seine Anhänger hervortritt. Die Sache liegt darin, dass jahrhundertelange Erfahrung der Geisteswissenschaften die Menschen wie Sedlmayr gelehrt hat, jedes ihr Urteil, wie auch negativ dieser sein könnte, durch Anstrengungen der Empathie und Verständigung vorwegzunehmen. Was aber den Römer Vitruv betrifft, war ihm solches Herantreten noch völlig unbekannt und fremd. Von historischem Schicksal wurde er Auge in Auge vor einem ästhetischen Phänomen gestellt, dessen Wesen ganz außer den Grenzen seines Einsichtvermögens lag. Auch wenn er eine lange und mühsame Reise nach Enträtselung dieses Phänomens gewagt hätte, würde sie unausweichlich misslungen und hätte mit sich vielleicht obendrein den Verlust seiner felsenfesten Überzeugungen gebracht, aber ohne geringste Hoffnung, das Verlorene mit Neugewonnenem aufwiegen. Mittlerweile soll er als Mensch der Antike, für den philosophische Universalität mit festem Zusammenhang sie bildender Ansichten sowie eine genaue weltanschauliche Klarheit unentbehrliche Bedingungen seiner intellektuellen und moralischen Selbsterhaltung waren, einen Widerwillen gegen alles Unklare und Zweideutige und beziehungsweise eine ausgeprägte Vorliebe für deutliches Bild der ihn umgebenden Welt gehegt haben. Klarheit war also für Vitruv eine notwendige Grundlage seiner psychischen Identität. Und eben mit dem Zweck, diese Identität vor drohendem Zusammenbruch zu bewahren, wurde der innere Schurzmechanismus unbewusst eingeschaltet, der eine Ausweichung von dem für Vitruv unlösbaren aber wirklichen Problem der fremden Einstellungen zu Kunst und Leben mittels dessen Unterschiebung durch ersonnenes Problem der angeblichen Dummheit der Künstler und Zuschauer gewährleistete. abstract_translated_text: Vitruvius as an Art Critic and the Man of Antiquity Discussing problems of mural painting in the 7th book of his famous treatise on architecture, Roman architect and civil engineer Vitruvius (I c BC) has resolutely disapproved that kind of the wall pictorial decoration which had been much in vogue at his own times and now is widely known under the name of grotesques. Taking into consideration predominantly classical tenor of the treatise, one should consider such disinclination for that production of irregular and illogical fancy to be quite expectable. There is also no wonder that Vitruvius reproaches grotesques with their apparent lack of verisimilitude, the last being the most essential quality of true art according to classical aesthetics. Wonder is that having made one step further and trying to explain the huge popularity of grotesques, the Roman theoretician immediately falls into glaring contradiction with data of his own everyday experience. Without any hesitation, he concludes that artists as well as art lovers of his time indulge in grotesques simply because they by themselves, i.e. when they lack special elucidations from literati like him, do not see evident improbability of such images. However, since this improbability (e.g. roofs of houses resting upon thin reeds, or figurines growing out of fragile stalks or flowers) is manifest, Vitruvius’ conclusion must presuppose one more and rather unexpected opinion (he does not express it) that all those people are not only stupid but complete imbeciles, helpless and frails like folklore bumpkins. Is this strange presupposition of scholarly author compatible with all what he had been known about these builders of Roman greatness who are until now justly reputed for their common sense, prudence and enterprise? Surely no. Why then he uses this patently unfair statement as a base for his reasoning? To answer this question means to throw light on the main cause of subsequent decline of classical culture at the end of antiquity, moreover, of gradual oblivion of classical heritage at modern times. Firstly, it must be stressed that there exists no logical necessity obliging some proponent of classical aesthetics, even the most radical one, to deduce from his principles any negative conclusion concerning mental faculties of those who do not share his artistic likes and dislikes. The most consequent criticism of anticlassical trends in art can fully naturally go with what may be defined as presumption of mental validity; relatively recent confirmation of such possibility is Hans Sedlmayr’s criticism of Avant-garde, merciless towards phenomenon itself, but not debasing towards its representatives. The thing is that centuries-old experience of human sciences had thought Sedlmayr to anticipate each his judgement, however negative it would be, by efforts of empathy and understanding. On the contrary, to the Roman Vitruvius such an approach was fully unknown and alien. He had found himself face to face before an aesthetic phenomenon, whose essence was far beyond his capacity of comprehension. Even if he may have ventured to embark on a long, heavy journey in search of unriddling this phenomenon, it would unavoidably ended to him with failure and perhaps with the loss of a lot of his firm convictions without any hope to compensate it with the new ones. However, being a typical man of classical antiquity for whom philosophical universality and clearness of world outlook had been indispensable conditions of his intellectual and moral self-preservation he must have detested any vagueness and strived for clear-cut image of human world around him. Clearness for Vitruvius had been necessary foundation of his inner psychic wholeness. It is just in order to keep this wholeness untouched that mechanism of psychic self-defense had been switched on having determined unconscious withdrawal from unsolvable but real problem of alien attitudes towards art and life with the help of its replacement by far-fetched problem of alleged stupidity of onlookers and artists. abstract_translated_lang: eng date: 2007 date_type: published id_scheme: DOI id_number: 10.11588/artdok.00000306 ppn_swb: 1645596125 own_urn: urn:nbn:de:bsz:16-artdok-3067 language: ger bibsort: TARUASHVILVITRUVALSK2007 full_text_status: public themen: T14 oa_type: gold laender: LIt title_lat: Vitruv als Kunstkritiker und Mensch der Antike citation: Taruashvili, Leonid Iosifovich (2007) Vitruv als Kunstkritiker und Mensch der Antike. document_url: https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/306/1/Taruashvili_2007.pdf