TY - BOOK TI - Kirchenburgen (sowie Wehrkirchen und Pfleghöfe) in Baden Württemberg. Teil 1: Nördlicher Bereich. Darstellung des erhaltenen Bestandes in den Jahren 2004 - 2008 A1 - Pietschmann, Dieter-Robert N2 - Kirchenburgen ? es gab sie auch bei uns, im Bereich des heutigen Baden-Württemberg (und Nachbargebieten). Man findet in manchen Orten bei Kirchen Befestigungsreste, Mauern von mehr als einem Meter Stärke mit Schießscharten. Oft ist auch der Turm der Kirche selbst mit Schlitz- oder Schlüssellochscharten ausgerüstet. Im Gegensatz zu Burgen sind Kirchenburgen bisher mehr im Osten Europas sowie dem Nordwesten Frankreichs bekannt. Vereinzelt findet man in der Literatur auch Franken als ein Gebiet derselben, doch die Verbreitung erstreckte sich, der Notwendigkeit ihrer Existenz folgend, viel weiter. Auch gibt es bisher noch wenig Einigkeit über den Begriff als solchen (Kirchenburg, Wehrkirche; Wehrfriedhof sind zu finden), noch über die Hintergründe ihrer Existenz. Ich habe in den 4 Jahren meiner Photodokumentation im nördlichen Bereich Baden-Württembergs die Reste von mehr als 240 ehemaligen Anlagen dokumentiert. Das sie existierten, ist auch heute noch ersichtlich - was aber waren die Ursachen zum Bau befestigter Kirchenanlagen, welche die Ortsbevölkerung bargen (deshalb nenne sich sie auch Kirchen-?burgen?, vom Begriff ?Bergen?; Wehrkirchen werden etwas anders definiert). Wovor mußte man die leibeigenen Bauern und Landleute schützen ? Nach 4 Jahren intensiver Recherche in alter Literatur des 19. Jahrhunderts, welche wiederum Ortschroniken noch älterer Quellen enthalten, formt sich ein neues und sehr intensives Bild über das 14. und 15. Jahrhundert. Gemeinhin schreibt man dem Dreißigjährigen Krieg des 17 Jahrhunderts und den anschließenden Franzöischen Reunionskriegen des 17/18. Jahrhunderts eine sehr zerstörerische Wirkung in einem vorher nie gekannten Ausmaß zu. Es war aber auch zur Zeit des 14. und 15. Jahrhunderts eine Zeit, , in der Schlag und Gegenschlag, Brandschatzung, Terror und Mord beinahe alltäglich waren. Und, wie so oft im Laufe der Geschichte, musste der ?kleine Mann? zum einen die Hauptlast der Auseinandersetzung tragen, zum anderen wurde sie auf Ihm ausgetragen. Aus Stadt- und Ortschroniken formt sich ein Bild, dessen Schrecken den späteren ?Großen Kriegen? in nichts nachstehen. Der Begriff ?Städtekriege? taucht erstmals im frühen 14. Jahrhundert auf und ist bis in das späte 15. Jahrhundert hinein immer wieder präsent. Doch auch dies ist nur die ?Spitze? einer Eskalation, die zu Zeiten König Adolf von Nassau begann. Seine besondere Bevorzugung der Reichstädte gab diesen ein neues, starkes Selbstwertgefühl. Ihr Streben nach Macht, begünstigt durch starke Münz- und Marktrechte, waren für die Städte der Adeligen eine ernste Gefahr, strangulierte es doch ihre ?normalen?, botmäßigen Städte mehr und mehr ab. Weiterhin übernahmen die Reichsstädte auch die bis dahin den Adeligen zustehenden Zoll- und Wegerechte, und begannen auch die Ortschaften vieler Niederadeliger in ihrer Umgebung zu erwerben, was die Situation weiter anheizte. Anfang des 14. Jahrhunderts brachen immer mehr offene Feindseligkeiten aus, die meist darin bestanden, nicht etwa eine Reichsstadt selbst oder die Burg eines Grafen direkt anzugreifen (beide meist gut befestigt), sondern die wirtschaftlichen Grundlagen der Gegenseite zu zerstören: Bewaffnete Bürger der Reichsstädte verwüsteten die Dörfer der Adeligen, und unter der Führung von Rittern taten leibeigene Bauern unter Waffen dasselbe mit den Dörfern der Reichsstädte. In der Tat lassen sich besonders im Umkreis von einstigen Reichsstädten wie Rothenburg ob der Tauber, Schwäbisch, Hall, Schwäbisch Gmünd oder Heilbronn ?Konzentrationen? von Ortschaften mit Kirchenburgen feststellen. Neugründungen von befestigten Kirchen im 14. Jahrhundert, zu Anfang des 15. und wiederum verstärkt gegen Ende desselben sind belegbar; in einigen Fällen lassen sich sogar Verstärkungen der Befestigungen bis ins frühe 16. Jahrhundert belegen. Man mußte einen Weg finden, die eigenen Leute vor den Angriffen der Gegenseite zu schützen. Kirchenburgen dienten nur zum kurzzeitigen Schutz, nicht für tagelange Belagerungen. Häufig kamen schon nach Stunden Truppen der eigenen Partei zu Hilfe. Aber ohne die Möglichkeit, diese Stunden auszuharren, waren die Leute verloren. Und so waren denn die Kirchenburgen auch stark gebaut, sie entsprachen in wehrtechnischer Hinsicht einer adeligen Burg, mit allem, was dazu gehörte ( Mantelmauer, Gräben, Toranlagen); nur wurden sie verteidigt von leibeigenen Bauern unter Waffen. Kirchenburgen waren bis in das 17. Jahrhundert hinein als Schutzmöglichkeiten für die Ortsbevölkerungen in Gebrauch, wie einzelne Zeichnungen von Augenzeugen aus dieser Zeit beweisen. Ein ganz besonderes Kleinod ist das Gebiet Württembergs in den Jahren 1680-87, das vom Landvermesser Andreas Kieser komplett abgebildet wurde. Viele Anlagen sind in ihrem damaligen Zustand zu sehen, die heute nur noch Reste aufweisen, oder ganz verschwunden sind. Kirchenburgen ? architektonisch wie geschichtlich ein fester Bestandteil unserer Geschichte. Nur einige einstige Anlagen haben noch gute Teile (wie zum Beispiel Lienzingen, Iptingen, Dietlingen), komplett erhalten ist keine mehr. Sofern nicht vorher durch Kriege zerstört, wurden viele im 19. Jahrhundert abgetragen, um das Steinmaterial zum Bau von Häusern zu verwenden. Doch ? es ist mancherorts noch liebevoll restauriertes vorhanden, und auch die inzwischen verschwundenen Anlagen werden fortan nicht vergessen sein ? solange man sich ihrer erinnert ! AV - public ID - artdok653 KW - Kirchenburg Y1 - 2008/// UR - https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/653/ ER -