%0 Generic %A Santorinakis, Michael %D 2009 %F heidok:10521 %K Kafka , Process , manuscript , fragment , facsimile-edition %R 10.11588/heidok.00010521 %T Das Manuskript von Kafkas Romanfragment »Der Process« %U https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/10521/ %X Das Manuskript von Kafkas Romanfragment »Der Process« Die Neuinterpretation des »Process« stellt den Versuch dar, die bisherige Forschung und die früheren Ausgaben des »Process« einer Prüfung zu unterziehen, indem sie in der Exegese des Fragments die Faksimileausgabe des Fragments zugrundelegt. Da die bisherige Editionsweise die überlieferte Handschrift verfälscht und aus dem Manuskript einen Text konstituiert, ist es unabdingbar, für eine kritische Interpretation des »Process« das Faksimile zugrundezulegen. Eine besondere Schwierigkeit bei der Interpretation des Manuskripts ergibt sich bei der Einengung der Erzählperspektive auf das Bewusstsein der Hauptfigur. Infolge dieser Einschränkung ist K. das vorherrschende Orientierungszentrum des Lesers. Es ist jedoch unmöglich, eine glaubwürdige Sicht auf das Geschehen zu gewinnen, da für K. vieles inkommensurabel bleibt. Da das Geschehen im Bewusstsein der Hauptfigur gespiegelt wird, verfolgt der Leser im größten Teil des Fragments das Geschehen in actu. Die Glaubwürdigkeit der Perspektivfigur ist ernsthaft in Frage gestellt, da sich im Manuskript einige Passagen finden, in denen der Erzähler sich von der Perspektivfigur distanziert. Trotz mehrerer auktorialer Einschaltungen des Erzählers bleiben die entscheidenden Fragen des Fragments offen. Der Erzähler umgeht es geschickt, ein Urteil über das Geschehen und die Perspektive der Hauptfigur zu treffen. Es hat den Anschein, als ob der »Process« ein Immunsystem entwickelt, das sich davor schützt, in einen Klartext ausgelegt zu werden. Das Manuskript eröffnet lediglich einen hermeneutischen Raum, der eine konzise Bestimmung des Geschehens verhindert. Die Ausgestaltung des »Process« legt daher den Schluss nahe, dass Kafka einen modernen Roman intendiert und sich bewusst gegen die traditionelle Darstellung einer Welt entschieden hat. Ungeachtet aller Ungewissheit liegt die Vermutung nahe, dass der »Process« allegorisch zu lesen ist. Es lassen sich einige Stellen anführen, die auf das forum internum und des Gottesgerichts verweisen. Eine besondere Bedeutung für das Verständnis des »Process« hat die kommunikative Interaktion der Hauptfigur. Es lassen sich eine Vielzahl strategischer Motive und Herrschaftsstrukturen anführen, sowie Hinweise auf Verleugnung, Verstellung und Verdrängung der Perspektivfigur. Mit der Schilderung des kommunikativen Verhaltens, der Motive und Gedanken K.s sitzt das Manuskript über K. zu Gericht. Die Untersuchung versucht, die performative Dimension des Manuskripts zu eröffnen. Eine weitere Eigentümlichkeit des Manuskripts ist der selbstreflexive Bezug. Die Türhütergeschichte wird zu einem exponierten Reflexionsort des Manuskripts. Der Inhalt der Geschichte entspricht der Erzählform. In Gestalt des Erzählers verwehrt ein Türhüter dem Leser den Einlass in das Innere des Erzählten. Doch ungeachtet aller exegetischen Bemühung muss man konstatieren, dass die Interpretation die beschränkte Offenheit des »Process« aufzuweisen imstande ist.