TY - GEN N2 - Die außerhäusliche Mobilität stellt eine bedeutende Voraussetzung für Selbständigkeit, gesellschaftliche Teilhabe und Lebensqualität im Alter dar. Sowohl altersassoziierte als auch nonnormativ bedingte Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit können sich negativ auf die Mobilität einer Person auswirken und die Mensch-Umwelt-Passung damit entscheidend beeinflussen. Inwiefern unter diesen Bedingungen eine bedürfnisgerechte Mobilität aufrechterhalten werden kann, zeigt sich abhängig von den Anpassungskompetenzen einer Person und den Ressourcen der sozialräumlichen Umwelt. Zusammenhänge zwischen Beeinträchtigungen der kognitiven Leistungsfähigkeit im Alter und einem eingeschränkten Mobilitätsverhalten sind vielfach empirisch belegt. Bei bislang vornehmlich quantitativ-deskriptiv durchgeführten Untersuchungen bleiben jedoch individuelle Ursachen der Mobilitätseinschränkungen und insbesondere Anpassungskompetenzen und ?strategien nahezu unberücksichtigt. Zentrales Forschungsanliegen der vorliegenden Arbeit ist es daher, über die quantitative Beschreibung und Analyse der Mobilität hinaus, subjektive Motivationen und Entscheidungen der älteren Menschen sowie sozialräumliche Handlungsbedingungen in eine umfassende Analyse der außerhäuslichen Mobilität einzubeziehen. Hierfür wird die quantitative Methode des GPS-Trackings mit der qualitativen Methode des Bewegten Interviews kombiniert. Besonderes Potential bietet die Kombination beider Forschungsmethoden im Sinne einer methodischen Triangulation, da diese eine differenzierte Beschreibung, Analyse und Begründung von Mobilitätsmustern älterer Menschen, in Abhängigkeit von deren kognitiver Leistungsfähigkeit, ermöglicht. Die komplexe Thematik der vorliegenden Untersuchung bedingt einen interdisziplinären Zugang. Daher konstituiert sich der theoretische und konzeptionelle Hintergrund der vorliegenden Untersuchung aus einer Verschränkung von Ansätzen der Wissenschaftsbereiche Sozialgeographie, Psychologie und Medizin. Die zentralen Forschungsfragen der Untersuchung lauten: - Unterscheidet sich die außerhäusliche Mobilität älterer Menschen in Abhängigkeit von ihrem kognitiven Status? - Welche Unterschiede lassen sich in der Gestaltung der außerhäuslichen Mobilität älterer Menschen mit unterschiedlichem kognitivem Leistungsstatus identifizieren? - Woraus resultieren mögliche Unterschiede in der außerhäuslichen Mobilität älterer Menschen mit unterschiedlichem kognitivem Leistungsstatus? - Welche Adaptationsstrategien setzen ältere Menschen mit unterschiedlichen kognitiven Voraussetzungen als Reaktion auf Auffälligkeiten, Veränderungen oder Schwierigkeiten ihrer außerhäuslichen Mobilität ein? Werden in diesem Zusammenhang Unterschiede in Abhängigkeit vom kognitiven Leistungsstatus ersichtlich? Die Mobilitätsdaten für diese Analyse stammen aus dem interdisziplinär und international organisierten Forschungsprojekt SenTra (?SenTra - Der Gebrauch von hochentwickelter Technologie zur Mobilitätsanalyse bei der Alzheimerschen Erkrankung und verwandter kognitiver Einschränkungen? 2007-2011), welches die außerhäusliche Mobilität älterer Menschen über ein individuelles vierwöchiges GPS-Tracking untersuchte (Oswald et al. 2010). In der quantitativen Analyse der vorliegenden Arbeit wurden raumzeitliche Daten zur außerhäuslichen Mobilität von n=58 Studienteilnehmern mit unterschiedlicher kognitiver Leistungsfähigkeit (nicht kognitiv beeinträchtigt [NKB=20], leicht kognitiv beeinträchtigt [LKB=19] und leichte Alzheimer-Demenz [LAD=19]) des SenTra-Projektes statistisch analysiert. Darüber hinaus wurde in einem zweiten Teil der empirischen Untersuchung über das innovative qualitative Verfahren des Bewegten Interviews, einer Mischform aus Leitfadeninterview und teilnehmender Beobachtung, die außerhäusliche Mobilität einer Substichprobe von n=18 Studienteilnehmern (NKB=6; LKB=6; LAD=6) aus subjektiver Perspektive der Studienteilnehmer erfasst. Die Analyse der Bewegten Interviews erfolgte in einem dreistufigen Vorgehen: Zunächst wurden spezifische Informationen zur individuellen Ausgestaltung der Mobilität dargelegt. Danach wurden Auffälligkeiten, Schwierigkeiten sowie intraindividuelle Veränderungen in der Mobilität dokumentiert. Anschließend wurden Anpassungsstrategien analysiert, die die Studienteilnehmer als Reaktion auf Schwierigkeiten oder Veränderungen ihrer außerhäuslichen Mobilität berichteten. Zur Operationalisierung wurden die Anpassungsleistungen der Studienteilnehmer, einer modifizierten Version des SOK-Modells von Baltes und Baltes (1989) entsprechend, den universellen Anpassungsstrategien der Selektion, Optimierung und Kompensation zugeordnet. Eine inhaltliche Vertiefung und Konkretisierung ausgewählter thematischer Aspekte erfolgte über Fallstudien, in denen die außerhäusliche Mobilität einzelner Studienteilnehmer detailliert dargestellt wurde. Über beide methodischen Zugänge konnten manifeste Unterschiede der außerhäuslichen Mobilität in Abhängigkeit vom kognitiven Leistungsstatus aufgezeigt und in ihrer Verbindung differenziert reflektiert werden. In der quantitativen Analyse wurden zu einem großen Anteil signifikante Unterschiede in Abhängigkeit vom kognitiven Status der Studienteilnehmer in Bezug auf die außerhäuslich investierte Zeit (z. B. weniger Zeit außer Haus, weniger Zeit in Bewegung), die Verkehrsmittelnutzung (LKB und NKB mehr PKW-Mobilität, LAD mehr Fuß-Mobilität), die Aktivitäten (bei LAD kognitiv weniger anspruchsvoll, mehr routinierte Aktivitäten) und den Aktionsraum (bei LKB und stärker noch bei LAD im Vergleich zu NKB deutlich reduziert) ersichtlich. Anhand der Aussagen der Studienteilnehmer in den qualitativen Interviews konnten diese Unterschiede detaillierter beschrieben und begründet werden. In diesem Zusammenhang wurde insbesondere anhand der Fallstudien das komplexe Zusammenwirken personaler und sozialräumlicher Einflussfaktoren für die Mobilitätsgestaltung deutlich. Kognitiv beeinträchtigte Studienteilnehmer wiesen deutlich mehr Schwierigkeiten oder Veränderungen der außerhäuslichen Mobilität insbesondere in den Bereichen Verkehrsmittelnutzung, Orientierung und Begleitung im Vergleich zu kognitiv gesunden Studienteilnehmern auf. Am auffälligsten zeigten sich Veränderungen der außerhäuslichen Mobilität bei kognitiv beeinträchtigten Studienteilnehmern (v. a. LAD) in einer Handlungsunsicherheit begründet. Diese war auf die Diagnose einer LKB oder LAD, das Erleben von Beeinträchtigungen personaler Kompetenzen oder Schwierigkeiten in der außerhäuslichen Mobilität (z. B. Unfälle) zurückzuführen. Veränderungen der außerhäuslichen Mobilität führten zum Einsatz verschiedener Anpassungsstrategien der Studienteilnehmer. Zwar setzten alle Studienteilnehmer Adaptationsstrategien als Reaktion auf Veränderungen oder Schwierigkeiten der außerhäuslichen Mobilität ein, in der Gruppe der kognitiv beeinträchtigten Studienteilnehmer wurden jedoch insgesamt mehr und im Vergleich zu den anderen beiden Gruppen häufig selektive Strategien angewendet. Spezifische Wege (z. B. Autobahn), Verkehrsmittel (v. a. PKW), Mobilitätsbereiche (unbekannt, unsicher, verkehrsreich) oder Mobilität zu bestimmten Zeiten (z. B. nachts) wurden sowohl als Reaktion auf Unsicherheiten oder Überforderungen im Mobilitätserleben als auch präventiv zur Vermeidung von Schwierigkeiten in der außerhäuslichen Mobilität selektiert. Selektive Strategien wurden vor allem dann eingesetzt, wenn keine notwendige Begleitung verfügbar war oder die Nutzung eines bestimmten Verkehrsmittels nicht kompensiert werden konnte. Aufgrund von Beeinträchtigungen in wesentlichen Adaptationskompetenzen (z. B. Reflexionsvermögen, Antizipation von Handlungsfolgen) war besonders in der Gruppe der LAD eine den eigenen Kompetenzen adäquate und bedürfnisgerechte Adaptation zum Teil nicht möglich. Insgesamt wurde offensichtlich, dass die Abnahme der kognitiven Ressourcen zu einer Konzentration auf basale Bereiche der außerhäuslichen Mobilität und Aktivität führt und damit das Nahumfeld der betroffenen Personen an Bedeutung gewinnt. Die vorliegende Arbeit leistet durch die differenzierte Beschreibung des dynamischen Zusammenwirkens sozialräumlicher Faktoren und personaler Kompetenzen eine umfassende und alltagsnahe Betrachtung der außerhäuslichen Mobilität. Sie verdeutlicht damit das Potential einer konzeptionell und methodisch interdisziplinär organisierten Alternsforschung und bietet darüber hinaus eine Grundlage für Handlungsempfehlungen mit dem Ziel, eine bedürfnisgerechte Mobilität im Alter (auch bei kognitiven Einbußen) aufrechtzuerhalten. UR - https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/22127/ A1 - Zuber, Felicia Esther ID - heidok22127 TI - Mobilität und kognitiver Leistungsstatus im Alter - eine interdisziplinäre Handlungsanalyse Y1 - 2016/// AV - public ER -