eprintid: 6751 rev_number: 9 eprint_status: archive userid: 1 dir: disk0/00/00/67/51 datestamp: 2006-08-07 14:14:52 lastmod: 2016-08-10 14:49:10 status_changed: 2012-08-14 15:19:21 type: doctoralThesis metadata_visibility: show creators_name: Joeres, Niels title: Der Architekt von Rapallo : der deutsche Diplomat Ago von Maltzan im Kaiserreich und in der frühen Weimarer Republik title_en: The Architect of Rapallo : the German Diplomat Ago von Maltzan in the Service of Imperial Germany and the Early Weimar Republic ispublished: pub subjects: 320 divisions: 72020 adv_faculty: af-07 keywords: Niels Joeres , Deutsche Außenpolitik , Internationale Politik , Santa Margherita Ligure , Deutsche ErinnerungsorteImperial Palace Hotel , German foreign policy , Weimar Republic , myths in international relations , diplomacy cterms_swd: Diplomatie cterms_swd: Rapallo cterms_swd: Maltzan, Adolf Georg Otto von cterms_swd: Rathenau, Walther cterms_swd: Weimarer Republik abstract: Aktuelle Kontaktdaten des Verfassers: Dr. Niels Joeres, Jettenburger Str. 9, 72770 Reutlingen, Tel. +49 151 1670 1899, E-Mail: n.joeres@googlemail.com Die Bewertung des deutsch-russischen Vertrages von Rapallo (16. April 1922) gehört zu den großen Kontroversen der Zeitgeschichte. Die bisherige Forschung hat sich im Rahmen der Interpretation des berühmten wie berüchtigten historischen Ereignisses vielfach auf eine starke Negativrolle des vermeintlich „so konservativen“ deutschen Diplomaten Ago von Maltzan (1877-1927) berufen. Nach einem seit 1969/70 vorherrschenden Paradigma habe Maltzan mit Rapallo offensiv gegen den ‚Westen’ bzw. Polen ausgerichtete Großmachtpolitik führen oder, nach einem alternativ konkurrierenden, seit den 1950er Jahren vertretenen Deutungs¬grundmuster, Gleichgewichtspolitik in einem traditionell machtpolitisch ambitionierten Sinne betreiben wollen. In jedem Fall habe er damals, während der laufenden Weltwirtschafts¬konferenz in Genua (10. April bis 22. Mai 1922), seinen eigenen Außenminister, den Verständigungspolitiker Walther Rathenau, mit geradezu betrügerisch anmutender Verschlagenheit zur Unterzeichnung des Rapallo-Vertrages gedrängt. Die vorliegende Heidelberger Dissertation hinterfragt sowohl die gängige, spektakuläre Dämonisierung des Diplomaten als auch die historischen Grundlagen für den raunenden Mythos, der mit dem Vertrag in der Geschichte der Internationalen Beziehungen einhergeht. Der Weg nach Rapallo wird umfassend historisiert und entmystifiziert - erstmalig mittels des biographischen Zugriffs auf den entscheidenden Akteur sowie auf der Grundlage einer multiperspektivisch erweiterten Quellenbasis, die über die der bisherigen wissenschaftlichen Zeitgeschichtsschreibung entscheidend hinausragt. Einige zentrale Ergebnisse lauten vorab wie folgt: Im Gegensatz zur bisherigen Auffassung gehörte Maltzan bereits im Kaiserreich eher zu den progressiven, verständigungsorientierten Elementen im Auswärtigen Amt. Er blicke vor 1918/19 in dieser Hinsicht auf zahlreiche Konflikte mit der außenpolitischen und militärischen Führung zurück. Das bisherige, in mehrfacher Hinsicht schiefe Rapallo-Bild aber ist nicht nur mit einem noch schieferen Maltzan-Bild begründet worden. Ein weiterer Erkenntnisgewinn liegt darin, dass der Entstehungszeitpunkt des Vertrages überdies seinerzeit tatsächlich in erster Linie eine defensiv ausgerichtete Verteidigung berechtigter finanzieller Interessen Deutschlands in der russischen Frage darstellte. Sie wurde von Außenminister Rathenau, Reichskanzler Wirth, Ministerialdirektor Maltzan und dem späteren langjährigen Leiter der Rechtsabteilung im Auswärtigen Amt, Friedrich Gaus, gemeinsam getragen und nachfolgend ausführlich und im Ganzen gesehen auch sachlich zutreffend begründet. Rapallo kam in einer diplomatischen Ausnahmesituation zustande, in der alle großen Mächte bis zur letzten Minute ‚pokernd’ ihre nationalen Interessen durchzusetzen versuchten. Die Dramatik der Geschehnisse war auf die Konferenzregie der alliierten Hauptmächte, vor allem Englands und Italiens, zurückzuführen. Denn die maßgeblichen Vertreter der Entente führten seit dem 14. April 1922 außerhalb der Konferenzagenda ganztätig andauernde Separatverhandlungen mit der sowjetrussischen Delegation, von denen die deutschen Delegierten ausgeschlossen wurden. Insbesondere der britische Premier, Lloyd George, und der französische Delegationsleiter, Louis Barthou, forderten von Volkskommissar Tschitscherin die sofortige Unterzeichnung des sog. ‚Londoner Memorandums’. Und der Verlauf dieser Vertragsverhandlungen veranlasste Tschitscherin dann am Abend des 15. April 1922 zu der Empfehlung an seine Regierung in Moskau, eine modifizierte Form des alliierten Vertragsentwurfs mit den Ententemächten durchaus zu erwägen. Aus deutscher Sicht hätte eine solche Einigung zusätzlich Russland in das durch den Versailler Vertrag geschaffene Schuldner- und Gläubigersystem eingebunden. Die erste deutsche Demokratie würde, so die von Maltzan in Genua gegenüber maßgeblichen britischen Akteuren vorgetragene Sorge, nach der Kette außenpolitischer Niederlagen seit 1919, nunmehr noch weiteren destabilisierenden Belastungen ausgesetzt. Es kam mehrfach zu Gerüchten, die darauf hindeuteten, dass eine Einigung zwischen der Entente und Sowjetrussland auf Kosten Deutschlands schon vollendete Tatsache sei bzw. unmittelbar bevorstände. Eine den deutschen Akteuren unbekannte telegraphische Weisung des ZK in Moskau in der Nacht vom 15. auf den 16. April 1922, vertragsabschlussorientierte Verhandlungen mit den Alliierten sofort abzubrechen, schloss eine unmittelbare Einigung zwischen den Ententemächten und Sowjetrussland dann allerdings aus. Die Regierung Lenins befürwortete allenfalls die Unterzeichung eines Vertrages mit Deutschland, der bereits seit Januar 1922 federführend von Maltzan inhaltlich ausgehandelt und Anfang April 1922 in Berlin auch zwischen Rathenau und Tschitscherin weithin übereinstimmend diskutiert worden war. Nach weiteren bilateralen Verhandlungen in der temporären Residenz der sowjetrussischen Delegation (dem Imperiale Palace Hotel im seinerzeit zu Rapallo gehörenden Santa Margherita Ligure), wurde der vorbereitete Vertrag zwischen der deutschen Regierung und der Regierung der RSFSR tags darauf, am Ostersonntag 1922, von Rathenau und Tschitscherin unterzeichnet. Seine wesentlichen Grundzüge waren unter anderem dem britischen und französischen Botschafter in Berlin seit Februar 1922 bekannt und dem Inhalt nach objektiv nicht zu beanstanden. Der Vertrag ging über eine in der Sache sehr begrenzte deutsch-russische Interessenidentität ohne politische Nähe geschweige denn Intimität nicht hinaus. Er vertagte ungelöst zudem selbst einige wichtige finanzielle Fragen der Vergangenheit im deutsch-russischen Verhältnis und beschränkte sich im Ganzen recht inhaltsarm schließlich sogar auf deklaratorische Absichtserklärungen. Für die deutsch-russischen Beziehungen, die auch nachfolgend enttäuschend verliefen und zutiefst von gegenseitigem Misstrauen bestimmt waren, legte er allenfalls ein grob wirkendes, unausgefülltes Fundament. Mit dem Vertragsabschluss am Ostersonntag 1922 hatte die deutsche Außenpolitik und Diplomatie nichtsdestotrotz ein gravierendes ‚PR-Problem’, was nicht zuletzt auch auf einige Defizite in der Öffentlichkeitsarbeit bzw. politischen Kommunikation der Führung der deutschen Delegation auf der Konferenz von Genua zurückzuführen war. Insbesondere französische Medien und Regierungsvertreter konnten die „Bombe von Rapallo“ zwar nur für wenige Wochen mehr oder weniger erfolgreich instrumentalisieren. Die eingesetzte Legendenbildung aber schnitt in das zeitgenössische kollektive Gedächtnis und – nach 1945 im Kalten Krieg wiedergeboren – schließlich ebenso in das generationenübergreifende kulturelle Gedächtnis ein. abstract_translated_text: For decades now, the interpretation of the German-Russian Treaty of Rapallo (April 16, 1922) has been one of the most controversial issues in the history of international relations. One central reason proposed by historians for the time at which the treaty was signed is the leading role played by the “extremely conservative” German diplomat Ago von Maltzan (1877-1927). Maltzan was suspected of being a staunch upholder of the tradition of aggressive German power politics, or at least of the geopolitically orientated diplomatic school of thought that sought to play off the West against the East by means of an active German policy towards Russia. Furthermore it has been suggested that in signing the Treaty of Rapallo foreign minister Walther Rathenau walked straight into a “trap” that Maltzan had set for him with diabolical diplomatic skill. This University of Heidelberg dissertation, the first part of a political biography of Maltzan focussing on his role as “the architect of Rapallo”, proves that this interpretation is unconvincing, if not entirely false. There is no evidence to support the withering condemnation of Maltzan, nor do the historical facts justify the status of Rapallo as a long-term myth in international relations. This surprising outcome is the fruit of two methodological demarches : (a) to fully engage for the first time with the diplomatic career of the ‘decisive’ figure involved in the treaty and (b) to enlarge on previous research with a new range of significant material deriving notably from German, French, British, Belgian and Dutch sources. One of the conclusions the study arrives at is that during his diplomatic service in Imperial Germany Maltzan was in fact one of the figures that favoured a policy of mutual understanding and de-escalation. His differences of opinion with the political and military leadership of the ‘Kaiserreich’ led to at least three major conflicts. Besides, the largely misleading picture usually drawn of the famous Rapallo treaty is caused not only by an inaccurate view of Maltzan. In addition, “the path to Rapallo” was the outcome of a dramatic diplomatic situation evolving during the international economic conference in Genoa (April 10 – May 22, 1922), where all the delegations jockeyed to secure their own national financial advantages in the Russian question. Imagining themselves to have been cornered on this issue, the leading members of the German delegation claimed that they were acting in financial self-defence. Accordingly, on Easter Sunday they renegotiated the treaty between Germany and Soviet Russia that had been prepared since February 1922. After only a few hours, the agreement was signed in the “Oval Hall” of the “Imperial Palace Hotel” in Santa Margherita Ligure, the temporary residence of the Russian delegation. Rathenau, Maltzan and Chancellor Wirth were in fact quite right in justifying their ‘Rapallo step’, notably with reference to British and Italian conference management. Referring to article 116 (3) of the Treaty of Versailles in the so-called ‘London Memorandum’, the Allies had indeed unsuccessfully attempted to prevent Germany from representing her own financial and economic interests in connection with Russian politics from a position of self-determination and de facto equality. Nevertheless, owing to a number of flaws in political communication the “Rapallo bombshell” triggered a traumatic German PR problem exploited notably by the Poincaré government and a rabid French press, though the success of this campaign was limited to only a few weeks. abstract_translated_lang: eng date: 2005 date_type: published id_scheme: DOI id_number: 10.11588/heidok.00006751 ppn_swb: 1644485087 own_urn: urn:nbn:de:bsz:16-opus-67514 date_accepted: 2005-09-23 advisor: HASH(0x55611cd16fe8) language: ger bibsort: JOERESNIELDERARCHITE2005 full_text_status: public citation: Joeres, Niels (2005) Der Architekt von Rapallo : der deutsche Diplomat Ago von Maltzan im Kaiserreich und in der frühen Weimarer Republik. [Dissertation] document_url: https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/6751/1/Pflichtveroeffentlichung.pdf