Directly to content
  1. Publishing |
  2. Search |
  3. Browse |
  4. Recent items rss |
  5. Open Access |
  6. Jur. Issues |
  7. DeutschClear Cookie - decide language by browser settings

Zwischen Selbstfürsorge und Selbstoptimierung: Zur Wirkung von Internet und sozialen Medien auf die Identität psychisch unbelasteter und belasteter Menschen im Generationenvergleich

Mayer, Gwendolyn

[thumbnail of Dissertationsschrift]
Preview
PDF, German (Dissertationsschrift) - main document
Download (4MB) | Terms of use

Citation of documents: Please do not cite the URL that is displayed in your browser location input, instead use the DOI, URN or the persistent URL below, as we can guarantee their long-time accessibility.

Abstract

Individualisierung wird als tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel beschrieben, der spätestens im 20. Jahr-hundert dazu geführt habe, dass Menschen persönliche Entscheidungen hin-sichtlich ihrer Lebensgestaltung losgelöst von Traditionen und Normen treffen. Diese Freiheit wird zugleich als Erwartungsdruck gesehen, da die Forderung ein möglichst einzigartiges Leben zu führen schon mit Einsetzen der Adoleszenz verinnerlicht wird und einen hohen Druck ausüben kann, der potenziell zu psychischen Belastungen führt. Die Digitalisierung, insbesondere der zunehmende personalisierbare Gebrauch des Internets und sozialer Medien, gilt in diesem Zusammenhang als weiterer Faktor, der die Individualisierung vorangetrieben hat. Einerseits bietet das Internet nie zuvor dagewesene Möglichkeiten, zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort soziale Vergleiche vorzunehmen und sich damit sozial zu positionieren, andererseits ist Selbstdarstellung über Profile in sozialen Medien Teil der Technologie.

Die vorliegende Studie hat zum Ziel zu untersuchen, ob eine fortschreitende Individualisierung über mehrere Generationen hinweg beobachtbar ist und ob das Internet und soziale Medien dazu beitragen. Außerdem soll der Frage nachgegangen werden, ob mit dieser Entwicklung psychische Belastungen einhergehen. Es handelt sich um eine Querschnittsstudie im Mixed-Methods-Design, bei der zunächst sechs Fokusgruppen mit insgesamt 36 Probanden der Generationen Baby Boomer (1950-1965), Generation X (1965-1980) und Digital Natives (1981-2000) durchgeführt worden sind. Im zweiten Schritt wurden 47 Einzelinterviews mit Probanden der genannten Generationen durchgeführt, die zu gleichen Teilen aus Probanden ohne und mit einer Diagnose im psychosomatischen Behandlungsspektrum bestanden. Diese führten im Anschluss über zwei Tage hinweg ein Selbstbeobachtungsprotokoll über ihre Mediennutzung und füllten Fragebögen zu den psychometrischen Skalen Depressivität/Ängstlichkeit, Technikbereitschaft und Generalisierte Selbstwirksamkeitserwartung aus. Das Handy war das von allen am häufigsten verwendete Gerät, um im Internet und sozialen Medien aktiv zu sein. Die Digital Natives griffen auf das Internet und soziale Medien mit der größten täglichen Nutzungsdauer zu, die Generation X etwas mehr als die Baby Boomer. Die Mehrheit der Probanden nutzte zwei bis sieben soziale Netzwerke. Insgesamt wurden etwa 15 Aktivitäten täglich protokolliert.

Ein Anstieg an Individualisierung über die Generationen hinweg und ein möglicher Beitrag des Internets und sozialer Medien zu dieser Entwicklung konnte in mehrfacher Hinsicht aufgezeigt werden. Die jüngste Generation äußerte die meisten Facetten an Selbstbezogenheit in den Fokusgruppen und Interviews. Auch war die Beziehungsrichtung ihrer Aktivitäten und die der Generation X in den Selbstbeobachtungsprotokollen häufiger als bei den Baby Boomern auf die eigene Person bezogen als auf ein virtuelles Gegenüber. Die Generation der Baby Boomer setzte das Internet und soziale Medien in einer pragmatischen Weise für Kommunikation, Informationssuche und die Anforderungen des Alltags ein, die beiden jüngeren Genera¬tionen dagegen suchten neben Kommunikation auch vielfältige Möglichkeiten im Umgang mit sich selbst beispielsweise Unterhaltung, Spiel und Musik. Das emotionale Erleben im Anschluss an die Aktivitäten war in allen Altersgruppen überwiegend positiv, allerdings äußerten die Digital Natives im Verhältnis zu den anderen am stärksten auch negative Gefühle wie Gereiztheit oder Langeweile. Sie berichteten von durch Peer Group und Elterngeneration transportierte Erwartungen, stets online erreichbar sein zu müssen. Auch standen sie in einem starken sozialen Vergleich durch online vermittelte Inhalte. Schließlich äußerten sie am stärksten den Wunsch nach Selbstverbesserung. Dies stand in einem positiven Zusammenhang zu erlebter Einsamkeit. Self-Tracking-Technologien wurden von ihnen am intensivsten genutzt. Diese wurden überwiegend positiv erlebt. Kein Unterschied dagegen bestand in den Generationen hinsichtlich Selbstfürsorge und dem Erleben von Einsamkeit in der Gegenwart. Das Erleben von Selbstfürsorge war indes für die Baby Boomer in deren Ver-gangenheit stärker als in den anderen Generationen.

Die Aktivitäten in den Selbstbeobachtungsprotokollen wurden bei Probanden ohne eine Diagnose im psychosomatischen Behandlungsspektrum häufiger von positiven Gefühlen gefolgt als von negativen oder neutralen Gefühlen. Probanden dieser Gruppe nutzten Aktivitäten wie Kommunikation, Alltag und Informationssuche am häufigsten, bei Probanden mit einer Diagnose stand Unterhaltung nach Kommunikation an zweiter Stelle. Bei Probanden mit einer derartigen Diagnose überwogen positive Gefühle nur in geringem Maß. Besonders online-Kommunikation und die Bewältigung des Alltags lösten häufiger auch negative Gefühle wie Gereiztheit, Nachdenklichkeit oder Trauer aus. Die Generationen unterschieden sich in ihren Belastungen dahingehend, dass die Baby Boomer höhere Werte im Bereich Depressivität aufwiesen als die anderen Generationen, dagegen zeigten die Digital Natives, wenn sie belastet waren, ein erhöhtes Maß an Ängstlichkeit. Es wurden keine Zusammenhänge zwischen Ausprägungen von Individualisierung und Technikbereitschaft ermittelt. Ein Zusammenhang zur generalisierten Selbstwirksamkeitserwartung bestand für den Bereich der Selbstfürsorge, jedoch nicht für den Wunsch nach Selbstverbesserung.

Die Ergebnisse verdeutlichen, dass in den jüngeren Generationen eine stärkere Selbst-Bezogenheit be-obachtbar war als in den älteren und dass das Internet und soziale Medien bei dieser Entwicklung eine prägende Rolle spielen. Insbesondere soziale Vergleichsprozesse und die Vermittlung von Normen und Erwartungen werden durch die Kommunikation über soziale Netzwerke befördert. Davon können sich ältere Generationen leichter abgrenzen, für die jüngste Generation scheitern Distanzierungsversuche oft, was als psychisch belastend erlebt werden kann. Andere Aspekte der Technologie, wie beispielsweise Self-Tracking, können unterstützende Wege der Selbstfürsorge und Selbst-Wirksamkeit bieten. Ob es sich bei den genannten Ergebnissen um Generations- oder um Alterseffekte handelt, kann mittels des vorliegenden Untersuchungsdesigns nicht beantwortet werden. Weitere methodische Ansätze sind nötig, um besondere Belastungsprofile für die einzelnen Altersgruppen herauszuarbeiten und in Zeiten fortschreitender Individualisierung besonders die positiven Möglichkeiten von Selbstfürsorge zu stärken.

Document type: Dissertation
Supervisor: Schultz, PD Dr. Jobst-Hendrik
Place of Publication: Heidelberg
Date of thesis defense: 5 July 2021
Date Deposited: 17 Aug 2021 08:30
Date: 2021
Faculties / Institutes: Medizinische Fakultät Heidelberg > Psychosomatische Universitätsklinik
DDC-classification: 610 Medical sciences Medicine
Controlled Keywords: Individualisierung, Medizinsoziologie, Selbstoptimierung, Mediensoziologie, Psychosomatik, Psychische Gesundheit, Selbstüberwachung, Depressivität, Angst, Generation
Uncontrolled Keywords: Qualitative Forschung; Mixed Methods; Fokusgruppen
About | FAQ | Contact | Imprint |
OA-LogoDINI certificate 2013Logo der Open-Archives-Initiative