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Risikofaktoren, Determinanten und Muster heroinbezogener Überdosierungen in der Bundesrepublik Deutschland

Beisel, Larissa

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Abstract

In der Bundesrepublik Deutschland sind im Jahr 2021 zirka 600.000 Menschen von illegalen Drogen abhängig. Bei Betrachtung der empirischen Daten zeigt sich vor allem die Relevanz der Droge Heroin: Sowohl international als auch in der Bundesrepublik Deutschland stellen heroinbezogene Überdosierungen den Großteil aller durch illegale Substanzen verursachten Todesfälle dar. Zudem ist diese Droge seit Jahren die bei Drogennotfällen am häufigsten konsumierte Substanz – weit vor Kokain, Ecstasy und Cannabis. Dabei werden in den bisherigen Studien heroinbezogene Überdosierungen als multifaktorielle Ereignisse dargestellt, wobei sowohl drogenspezifische Faktoren (applikationsspezifische und polypharmazeutische Determinanten) als auch konsumentenspezifische Faktoren (soziodemographische, Determinanten der Drogenvergangenheit und anamnestische Determinanten) und situationsspezifische Faktoren (situative Determinanten und Lebensumstände als Determinanten) relevant sind. Bei genauerer Betrachtung dieser empirischen Daten fällt allerdings auf, dass die bisherigen Studien sich eher auf einzelne Faktoren beschränken und dass es in Europa ein gravierendes Forschungsdefizit hinsichtlich dieser Thematik gibt. Zudem spielen Spezifika der Situation in der Bundesrepublik Deutschland, nämlich die Bereitstellung von Drogenkonsumräumen und die Verfügbarkeit von Naloxon-Nasensprays, keine Rolle. Die vorliegende Studie, welcher auch die Case Reports of heroine-related overdoses (CaRe-) Studie untergliedert ist, hat daher das Ziel, Risikofaktoren und Determinanten heroinbezogener Überdosierungen in der Bundesrepublik Deutschland zu ermitteln und weltweit erstmals Muster einer solchen Überdosierungen zu identifizieren. Mit Hilfe eines Fragebogens sollen Experten – also Personen mit beruflicher Expertise bzw. einer Tätigkeit mit Kontakt zu Heroinabhängigen und einer bereits konkret erlebten heroinbezogenen Überdosierung – zu diesen Themenbereichen befragt werden. Ein positives Votum der zuständigen Ethikkommission für diese Studie (Aktenzeichen: 2016-646N-MA vom 14. Dezember 2016, Amendment vom 27. Juli 2018) lag vor. Für die Erstellung des entsprechenden Fragebogens erfolgte eine Überarbeitung und Weiterentwicklung des Fragebogen der Studie „Externe Fragebogen-Evaluation des PLUS-Projektes der Gesundheitsinitiative ‚Hepatitis C in Ludwigshafen‘“ mittels Literaturrecherchen und zweier Pretests – ein kognitiver Pretest (n = 3) und ein klassischer Pretest (n = 10). Das Ergebnis war ein zweiteiliger Fragebogen mit insgesamt 31 Fragen: Während der erste Fragenblock einen individuellen Fall einer heroinbezogenen Überdosierung anhand eines Fallberichtes und ergänzender Fragen thematisierte, diente der zweite Fragenblock der Einschätzung der Relevanz verschiedener Determinanten einer heroinbezogenen Überdosierung. Nach Entwicklung des Fragebogens wurde eine Internetrecherche bezüglich in Frage kommender Personen bzw. Einrichtungen und anschließend eine telefonische Rekrutierung der Studienteilnehmern durchgeführt. Zwischen April 2019 und Oktober 2019 erfolgte dann die bundesweite Datenerhebung mit einem Rücklauf von 107 Fragebögen aus 33 verschiedenen Einrichtungen. Nach Ende der Datenerhebung und Abschluss der Pseudonymisierung bzw. Digitalisierung des Datensatzes wurden zuerst klassische deskriptive Analysen (u. a. Mittelwerte, Standardabweichungen, Häufigkeiten) und danach darauf aufbauende, weitergehende Analysen (u. a. mittels Mann-Whitney-U-Test, Faktorenanalysen, Clusteranalysen) mit Hilfe des Statistiksoftwareprogramms IBM SPSS Statistics 26 durchgeführt. Hierbei wurde ein Signifikanzniveau von α = 0,05 festgelegt. Die Studienpopulation bestand zu 74 Prozent aus psychologischen oder sozialpädagogischen Experten und zu 26 Prozent aus medizinischen Experten. Im Rahmen der Analysen konnte man feststellen, dass die drei im Rahmen der Hauptursachen am häufigsten genannten Einflussfaktoren einer heroinbezogenen Überdosierung der additive Konsum von Alkohol/Medikamenten/Drogen, gefolgt von einer Fehleinschätzung der Qualität/Menge des Heroins durch den Konsumenten und einer der heroinbezogenen Überdosierung vorausgegangenen Abstinenz waren. Zwei bzw. drei dieser Faktoren – also einer längeren Abstinenz bzw. einer verminderten Heroinaufnahme und dem additiven Konsum von Benzodiazepinen/Alkohol, wurden im Rahmen der Priorisierung der Determinanten hinsichtlich ihrer Relevanz die größte Bedeutung zugeschrieben. Im Rahmen einer explorativen Faktorenanalyse konnte man die in der Literatur genannten und die in unserer Studie ermittelten Risikofaktoren in fünf übergeordnete Risikokategorien einordnen: „soziale Deprivation“, „Substanzeigenschaften“, „additiver Konsum von Medikamenten und illegalen Substanzen“, „additiver Konsum atemdepressiver Substanzen“ sowie „Erst- und Wiederkonsum von Heroin“. Des Weiteren ließen sich heroinbezogene Überdosierungen anhand bestimmter Determinanten charakterisieren: Von einer heroinbezogenen Überdosierung waren meist ältere männliche Konsumenten mit einer längeren Drogenabhängigkeit betroffen. Das Ereignis fand häufig nach einer intravenöser Heroinapplikation im öffentlichen Raum in Anwesenheit anderer Personen, welche Hilfsmaßnahmen einleiteten, statt. Ein Großteil der betroffenen Konsumenten war über die Risiken einer solchen Überdosierung aufgeklärt bzw. berichtete von einer vorherigen Konsumreduktion oder -abstinenz. Zudem befanden sich die entsprechenden Personen häufig in sozial prekären Situationen, nahmen aber professionelle Hilfe in Anspruch. In fast allen Fällen wurden additive Substanzen konsumiert, u. a. Benzodiazepine, Alkohol, andere illegale Drogen oder Pregabalin. Mittels der folgenden Clusteranalyse konnte man fünf typische Risikocluster einer heroinbezogenen Überdosierung identifizieren: „männliche jüngere Abhängige, die tagsüber im öffentlichen Raum aufgefunden wurden“, „weibliche Abhängige, die tagsüber im öffentlichen Raum aufgefunden wurden“, „männliche ältere Abhängige, die tagsüber im öffentlichen Raum aufgefunden wurden“, „nachts zuhause aufgefundene Abhängige“ sowie „nachts draußen aufgefundene Abhängige“. Zudem gab es Determinanten bzw. Risikokonstellationen („red flags“), welche zu einer signifikanten Erhöhung des Risikos für ein letales Ende führten: weibliches Geschlecht, Überdosierung im nicht-öffentlichen Raum, Konsum ohne Beisein weiterer Personen, kein Einleiten von Erste-Hilfemaßnahmen bzw. kein Absetzen eines Notrufes, nicht-intravenöser Konsum und nächtlicher Konsum bzw. Konsum unter der Woche. Des Weiteren zeigte sich, dass das Cluster der „nachts draußen aufgefundenen Abhängigen“ die signifikant höchste Letalität aufwies. Diese Personen konsumierten das Heroin vergleichsweise häufig allein. Die im Rahmen der Studie erfolgte Priorisierung der Risikofaktoren einer heroinbezogenen Überdosierung kann u. a. für die Notfallmedizin relevant sein, da sich dadurch mindestens fünf Anamnesefragen identifizieren lassen, welche bei Verdacht auf eine heroinbezogene Überdosierung berücksichtigt werden sollten: „Ging dem Ereignis eine akute Stressreaktion voraus?“, „Liegt eine Wiederaufnahme des Konsums nach längerer Abstinenz oder Heroinreduktion vor?“, „Wurde die Wirksamkeit des Heroins unterschätzt?“, „Liegt ein additiver Konsum von Medikamenten oder anderen illegalen Substanzen vor?“ und „Wurden Alkohol oder Benzodiazepine konsumiert?“. Mit Hilfe der ermittelten empirischen Daten können zudem neue bzw. spezifische Strategien und ausgeweitete Programme zur Reduktion heroinbezogener Überdosierungen entwickelt werden. Aktuell bildet das 4-Säulen-Modell in der Bundesrepublik Deutschland die Grundlage für den Umgang mit Substanzkonsum. Hinsichtlich unserer Ergebnisse können vor allem die ersten drei Säulen – (1) Prävention, Information und Aufklärung, (2) Beratung und Behandlung, Hilfen zum Ausstieg und (3) Maßnahmen zur Schadensminimierung – als Ansatzpunkte zur Entwicklung konkreter Strategien dienen. Spezifische Programme der ersten Säulen sollten sowohl die Mitarbeiter der Drogenhilfe im Sinne einer Weiterbildung, aber vor allem auch die Konsumenten selbst, insbesondere solche mit „red flags“, miteinbeziehen. Das medizinische Ziel einer Abstinenz wird durch die zweite Säule widergespiegelt. Hierbei ist es wichtig, dass den Konsumenten mehrere Möglichkeiten der Beratung bzw. Behandlung bereitgestellt werden. Im Rahmen der Maßnahmen zur Schadensminimierung wurden Drogenkonsumräume etabliert und Naloxon-Programme bzw. Erste-Hilfe-Schulungen gestartet. Das Säulen-Modell sowie die bisher vorhandenen empirischen Daten, aber auch die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass letztendlich interdisziplinäre, komplexe und vielschichtige Programme zur Reduktion heroinbezogener Überdosierungen entwickelt werden müssen – vor allem mit einem Schwerpunkt auf den in unserer Studie erfassten, typischen Risikokonstellationen. Hierbei scheint einerseits die Ausweitung des bisher vorhandenen Angebotes essentiell. Andererseits sollte dieses durch mittel- und langfristige kontextbezogene Gegenmaßnahmen ergänzt werden – um die Situation des Einzelnen zu optimieren, Risikokonstellationen frühzeitig zu erkennen und eine gesundheitsförderliche Lebenswelt für die betroffene Person zu schaffen.

Document type: Dissertation
Supervisor: Schneider, Prof. Dr. Sven
Place of Publication: Heidelberg
Date of thesis defense: 28 April 2023
Date Deposited: 14 Jul 2023 06:27
Date: 2023
Faculties / Institutes: Medizinische Fakultät Mannheim > Zentrum für Präventivmedizin und Digitale Gesundheit Baden-Württemberg
DDC-classification: 610 Medical sciences Medicine
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