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Abstract
Trotz ihrer selteneren Nutzung von HIV-Diensten wurden Männer, die Geschlechtsverkehr mit Frauen haben (der Begriff Männer wird hier auf diese Gruppe bezogen) erst in den letzten Jahren als eigenständige Zielgruppe für die Erreichung der globalen HIV Behandlungs- und Präventionsziele wahrgenommen. Antiretrovirale Therapie (ART) und Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) erfordern einen HIV-Test und (im Untersuchungszeitraum) die tägliche und potenziell stigmatisierende Einnahme von antiretroviralen Medikamenten (ARVs).
Die Dissertationsstudie leistet einen Beitrag zur Schließung der Genderlücke für HIV-Prävention und Behandlung und ist meines Wissens die erste Studie, die die Erfahrungen von Männern mit ART und PrEP in zwei Hochprävalenzgebieten im südlichen Afrika vergleicht: ART am Umodzi Family Centre (UFC), in Blantyre, Malawi, 2019 und PrEP an sechs lokalen Kliniken im Nordwesten Eswatinis, 2017-2018. Das multi-methodische Studiendesign umfasst klinikbezogene Daten, Interviews (n=72 in Malawi und n=114 in Eswatini) mit Klienten, Gesundheitspersonal und anderen Interessengruppen inklusive Gemeindevorsteher/-mitglieder, Policy-Dokumente und vier Fokusgruppendiskussionen unter Beteiligung von Männern in Eswatini. Der Fokus lag dabei auf Faktoren, die die ART- und PrEP-Einnahme fördern oder hindern und zu besser geeigneten Gesundheitsdiensten für Männer beitragen. Die Studie sollte darüber hinaus aufweisen, welche Charakteristika von UFC-Klienten in Malawi mit Viruslastsuppression (VLS) und welche Charakteristika von Klienten in Eswatini mit einem HIV-Risiko und der PrEP-Einnahme im Zeitraum 2017-2019 assoziiert sind. Labordaten des UFC in Malawi wiesen eine VLS von 94% auf, für Klienten auf einer Dolutegravir basierten Behandlung sogar eine VLS von über 97%. Für Klienten <34 Jahre, auf der zweiten oder einer nicht-standardmäßigen Therapielinie wurde eine VLS von unter 90% konstatiert. Poisson Regressionen zeigten folgende Assoziationen mit VLS: das relative Risiko einer VLS nahm mit Alter zu und war höher in Männern mit Behandlungsunterstützung. Die zweite und eine nicht-standardmäßige Therapielinie war negativ mit VLS assoziiert. In Eswatini stellten Männer eine Minderheit der PrEP-KlientInnen dar (<30%), und 50% brachen die PrEP innerhalb von 30 Tagen ab. Poisson-Regressionen zeigten Alter <35 Jahre, Beziehungsstatus, Mitglied einer PrEP-Zielgruppe und PrEP als Grund des Klinikbesuchs signifikant mit einem HIV-Risiko assoziiert. Die letzteren beiden Variablen waren positiv mit PrEP-Einnahme für männliche Klienten assoziiert. Männer mit mehreren Sexualpartnerinnen hatten ein höheres relatives Risiko, PrEP zu initiieren. Nach Aussagen der Männer motivierten sie Angst vor HIV, mehrere Sexualpartnerschaften und der unbekannte oder HIV-positive Status der Partnerin zur PrEP Einnahme. Hauptgründe für die Ablehnung von PrEP waren, genauer über PrEP nachdenken zu müssen, das eigene HIV-Risiko gering einzuschätzen und die Notwendigkeit, täglich Medikamente einzunehmen.
Qualitative Ergebnisse aus Malawi und Eswatini kontextualisierten die quantitativen Ergebnisse. Gesellschaftliche Erwartungen, Stigma, Alter und Lebensphase, Beziehungsstatus mit Serokonkordanz oder -diskordanz, soziale Referenzgruppen, tägliche Pilleneinnahme, eigene Klinikerfahrung, Arbeitssituation vis-à-vis Klinikbesuche, moralische Überzeugungen und das Verständnis von ART oder PrEP hatten Auswirkungen auf Behandlungs- und Präventionsentscheidungen und -erfahrungen von Männern und bezogen sich auf alle Ebenen des sozio-ökologischen Modells, das die Dissertationsstudie untermauerte. Förder- und hinderliche Faktoren für PrEP und ART konnten identisch sein oder divergieren. Die freie Entscheidung für PrEP in Risikosituationen gegenüber keiner wirklichen Alternative zu ART wirkten sich auf das Testen, die Erfahrung von Nebenwirkungen und die Behandlungslänge aus und zeigten Intra- und Intergruppenunterschiede. Maskulinität spielte für Männer in beiden Studien eine große Rolle: sie wollten gesund wirken and äußerten Hoffnungen und Ängste bezüglich der Auswirkungen von ART und PrEP auf ihre Virilität, was Rückwirkungen auf die Medikamenteneinnahme hatte. Der Grad des anhaltenden HIV-Stigmas an beiden Studienorten überraschte. Männer hatten Angst davor, als HIV-positiv gesehen zu werden, was in Eswatini zum Wunsch nach separaten PrEP-Einrichtungen führte. Die Intersektionalität von Stigma, Maskulinität und dem Lebensverlauf spiegelte sich in Malawi in stärker empfundenem Stigma bei jüngeren Männern wider, die mit ART behandelt wurden und konnte zu Adhärenzproblemen führen. Ältere HIV-positive Männer wurden aufgrund ihrer sozialen Stellung nachsichtiger beurteilt und handelten unabhängiger. In Eswatini wurden junge Männer aufgrund ihrer sexuellen Experimentierfreudigkeit als Hauptzielgruppe für PrEP betrachtet. Vertrauen und Misstrauen kristallisierten sich als wichtige Beziehungsthemen heraus: In Malawi spielten Verwandte eine Schlüsselrolle in der praktischen und moralischen Behandlungsunterstützung, während anderen Personen weniger vertraut wurde. Serodiskordanz, Probleme mit Kondomen, der Wille, HIV-negativ zu bleiben und Misstrauen gegenüber der Partnerin schufen Anreize für die PrEP-Einnahme; Vertrauen hinderte die PrEP-Einnahme, die dann jedoch vornehmlich der Partnerin mitgeteilt wurde. An beiden Studienorten informierten Männer signifikante Andere und nahmen somit eine Rolle als „Peer-Educators“ ein, die im Rahmen von ART und PrEP-Programmen für Männer gefördert werden sollte.
Die Heterogenität, Männlichkeit zu leben, die in beiden Studien zum Vorschein kam, wies eine Bandbreite auf, die von Autonomie, Virilität, Entscheidungsmacht, Scheu, Treue, Fürsorge für Partnerin(nen), Freunde und Familie, Vertrauen, Misstrauen, Geheimhaltung, Offenlegung des HIV-Status oder der PrEP-Einnahme bis zum Motivieren anderer reichte. Diese Heterogenität stellte ein Streben nach einem hegemonialen Maskulinitätsideal wie auch das Ausleben einer untergeordneten Maskulinität in Frage. Als alternatives Modell zum Verständnis von Maskulinität und zur Transformation von männlichem Verhalten sollte das Konzept eines kulturellen Repertoires, aus dem situationsspezifische Aktionsstrategien gewählt werden können, genauer untersucht werden.
Die Dissertationsstudie unterstreicht die Wichtigkeit, Männer als eigene Zielgruppe wahrzunehmen und die HIV-bezogenen Dienste auf ihre Bedürfnisse anzupassen. An beiden Studienorten zeigten Männer eine Präferenz für länger anhaltende Wirkstoffe, für die Verschreibung von Medikamenten für mehrere Monate, um Klinikbesuche zu reduzieren und für männerfreundliche Kliniken, Gesundheitsaufklärung und -dienste in lokalen Gemeinschaften mit Sport- und Verpflegungsanreizen. Für ART beinhaltete dies neue Zugangsoptionen wie ARV-Automaten, Viruslastselbsttests und lokale Personen, über die man ARVs beziehen kann; für PrEP bestand Bedarf für mehr gemeindeorientierte Informationen, z.B. zum Unterschied von ART und PrEP. HIV-Behandlung als Prävention schien Männern an beiden Studienorten unbekannt zu sein. Fundiertere Aufklärung könnte Stigma reduzieren und die Situation von serodiskordanten Paaren verbessern. Die verschiedenen Vorschläge sollten zusammen mit Männern konkreter ausgearbeitet und in Pilotstudien getestet werden, um maskulinitätsbezogene ART- und PrEP-Barrieren zu überwinden und zur beschleunigten Überwindung der AIDS-Epidemie für alle beizutragen.
Document type: | Dissertation |
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Supervisor: | Bärnighausen, Prof. Dr. Till |
Place of Publication: | Heidelberg |
Date of thesis defense: | 19 October 2023 |
Date Deposited: | 29 Nov 2023 13:03 |
Date: | 2023 |
Faculties / Institutes: | Medizinische Fakultät Heidelberg > Heidelberg Institute for Global Health (HIGH) |
DDC-classification: | 610 Medical sciences Medicine |