German Title: Exekutive Funktionen bei Kindern und Jugendlichen nach Epilepsiechirurgie- Analyse des Langzeitverlaufs und möglicher Prädiktoren
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Abstract
Ziel dieser Studie war die Untersuchung der Längsschnittentwicklung exekutiver Funktionen (EF) nach Epilepsieoperation bei Kindern und Jugendlichen. EF sind kognitive Funktionen, die für schulische Leistungen, selbstregulierendes Verhalten und die Anpassung an neue Situationen entscheidend sind. Die Forschungsfragen lauteten wie folgt: Wie entwickeln sich die verschiedenen EF (Arbeitsgedächtnis, Inhibition, Monitoring, Flexibilität, Planung, Problemlösung, Wortflüssigkeit) in einer pädiatrischen Epilepsiekohorte nach der Operation im Laufe von fünf Jahren? Wie beeinflussten klinische Faktoren wie u.a. die Ätiologie und die Lokalisation der Operation, die Entwicklung der EF? Welche dieser potenziellen Prädiktoren unterschieden Patienten, deren EF sich nach Operation signifikant verbesserten, von denen, deren EF sich signifikant verschlechterten? Retrospektiv und explorativ analysiert wurden Längsschnittdaten einer klinischen Kohorte von 117 Kindern und Jugendlichen, die zwischen 1996 und 2016 in zwei deutschen Epilepsiezentren epilepsiechirurgisch behandelt wurden. Das mittlere Alter bei der Operation betrug 12;10 Jahre (Standardabweichung = 3;10). Vor der Operation sowie 6, 12, 24 und 60 Monate nach der Operation nahmen die Patienten an einer neuropsychologischen Untersuchung teil, die auch Aufgaben zur Beurteilung der verschiedenen oben genannten EF umfasste. Die statistischen Analysen umfassten sowohl deskriptive Statistiken als auch explorative Analysen der Entwicklung der 7 untersuchten EF im Verlauf von 5 Untersuchungszeitpunkten mittels univariaten und multivariaten Mehrebenenmodellen. Bei jedem univariaten Modell war die Zeit zwischen den Untersuchungen die unabhängige Variable und eine der verschiedenen EF die abhängige Variable. Bei den multivariaten Modellen wurden Zeit und ein klinischer Faktor als unabhängige Variablen sowie je eine der EF als abhängige Variable in das Modell inkludiert. Es wurden explorative Post-hoc-Analysen mit geschätzten marginalen Mittelwerten, paarweisen Vergleichen und/oder Abweichungskontrasten berechnet. Für kontinuierliche Variablen wurden Regressionskoeffizienten angegeben. An diese Gruppenanalysen schlossen sich Analysen von Untergruppen an. Für diese Analysen wurden Patienten mit einer Veränderung von mindestens einer Standardabweichung bei einer EF-Aufgabe zwischen der präoperativen und der 24-monatigen postoperativen Untersuchung ausgewählt. Potenzielle Unterschiede in den klinischen Variablen wurden je nach Bedarf, zwischen Patienten mit verminderten oder verbesserten EF-Leistungen mit dem χ²-Test oder dem exakten Test von Fisher für kategoriale unabhängige Variablen und mit dem ungepaarten t-Test, dem Welch t Test oder dem Mann-Whitney-U-Test für die kontinuierlichen unabhängigen Variablen untersucht. Folgende Ergebnisse wurden gefunden: Auf Gruppenebene lagen die Mittelwerte aller EF vor der Operation im unteren Durchschnitt. Univariate Analysen ergaben, dass sich die Wortflüssigkeit zur ersten postoperativen Untersuchung verbesserte. Das Arbeitsgedächtnis und die Planung verbesserten sich in den Jahren nach der Operation, während Inhibition, Problemlösung, Monitoring und Flexibilität keine signifikanten Veränderungen aufwiesen. Die Verbesserungen waren gering und lagen in der Regel unter einer Standardabweichung. Die wichtigsten Ergebnisse der multivariaten Analysen und der explorativen Post-hoc-Analysen waren die folgenden: Ein höherer prächirurgischer Intelligenzquotient, eine linkshemisphärische Operation, die Ätiologien Tumor und mesiotemporale Sklerose, eine Lokalisation außerhalb des Frontal- und Parietallappens, ein höheres Alter bei Beginn der Epilepsie und eine kürzere Dauer der Epilepsie sagten alle ein besseres postoperatives Langzeitergebnis der EF voraus. Die Art der Operation, die Anfallssituation nach der Operation und die Anzahl der Antianfallsmedikamente hatten keine signifikanten Auswirkungen auf die langfristigen EF-Ergebnisse. In einigen Untergruppen kam es nach der Operation zu einer Verschlechterung der EF, aber ein langsamer und stetiger Anstieg im Laufe der Zeit ermöglichte es den meisten, den Gruppendurchschnitt innerhalb von 5 Jahren zu erreichen. Auf individueller Ebene erlaubte keine der klinischen Variablen eine Unterscheidung zwischen Patienten, die eine signifikante Verbesserung aufwiesen, und Patienten, die zwischen der präoperativen und der 24-monatigen postoperativen Auswertung eine signifikante Verschlechterung zeigten. Lediglich bei 3-15 % der Kohorte kam es nach der Operation zu Veränderungen der EF um mindestens eine Standardabweichung. Verschlechterung nach der Operation könnte durch die Resektion von Hirngewebe erklärt werden, das vor der Operation noch funktionstüchtig war. Verbesserungen im Laufe der Zeit könnten durch Plastizität und kompensatorische Prozesse, wie kontralaterale Übernahme oder periläsionelle Reorganisation, erklärt werden. Die unmittelbar nach der Operation auftretende Verbesserung könnte durch die Freisetzung von Reservekapazitäten in Regionen erklärt werden, die vor der Operation aufgrund der epileptischen Reizung dysfunktional waren. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die pädiatrische Epilepsiechirurgie als eine sichere Behandlungsoption hinsichtlich EF angesehen werden kann. Um diese Ergebnisse zu bestätigen, sind prospektive Studien zu den Langzeitergebnissen der verschiedenen EF in diesem Kontext erforderlich. Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um die erste Langzeitstudie, die sich auf die Entwicklung der EF in einer großen, repräsentativen pädiatrischen epilepsiechirurgischen Kohorte konzentriert.
Translation of abstract (English)
The aim of this study was to investigate the longitudinal development of executive functions (EF) after epilepsy surgery in children and adolescents. EF are cognitive functions that are crucial for academic performance, self-regulatory behavior, and adaptation to new situations. The research questions were as follows: How do various EF (working memory, inhibition, monitoring, flexibility, planning, problem-solving, verbal fluency) develop in a pediatric epilepsy cohort over five years following surgery? How do clinical factors, including etiology and surgical localization, influence the development of EF? Which of these potential predictors distinguish patients whose EF significantly improved after surgery from those whose EF significantly deteriorated?
Longitudinal data were retrospectively and exploratively analyzed from a clinical cohort of 117 children and adolescents who underwent epilepsy surgery between 1996 and 2016 at two German epilepsy centers. The mean age at surgery was 12 years and 10 months (SD = 3 years and 10 months). Neuropsychological assessments, including tasks to evaluate the above-mentioned EF, were conducted before surgery and again 6, 12, 24, and 60 months afterward. Statistical analyses included both descriptive statistics and exploratory analyses of the development of the 7 assessed EF over the five time points using univariate and multivariate multilevel models. In each univariate model, time between assessments was the independent variable, and one of the EFs was the dependent variable. In the multivariate models, time and a clinical factor were included as independent variables, and one of the EFs was the dependent variable.
Exploratory post-hoc analyses were conducted using estimated marginal means, pairwise comparisons, and/or deviation contrasts. Regression coefficients were reported for continuous variables. These group-level analyses were followed by subgroup analyses. For these, patients were selected who showed a change of at least one standard deviation in one EF task between the preoperative and the 24-month postoperative assessment. Potential differences in clinical variables between patients with decreased or improved EF performance were examined using the χ²-test or Fisher’s exact test for categorical independent variables, and unpaired t-tests, Welch's t-tests, or Mann-Whitney U tests for continuous variables, as appropriate.
The following results were found: At the group level, mean scores on all EF tasks were in the low-average range before surgery. Univariate analyses showed that verbal fluency improved at the first postoperative assessment. Working memory and planning improved in the years following surgery, while inhibition, problem-solving, monitoring, and flexibility showed no significant changes. These improvements were small, usually below one standard deviation. The key findings from the multivariate and exploratory post-hoc analyses were that a higher preoperative IQ, left-hemispheric surgery, etiologies such as tumor and mesial temporal sclerosis, localization outside the frontal and parietal lobes, older age at epilepsy onset, and shorter epilepsy duration all predicted better long-term postoperative EF outcomes.
Type of surgery, seizure outcome after surgery, and the number of antiseizure medications had no significant effects on long-term EF outcomes. In some subgroups, EF worsened after surgery, but a slow and steady increase over time allowed most to reach the group average within five years. On an individual level, none of the clinical variables distinguished between patients who showed significant improvement and those who showed significant decline in EF between preoperative and 24-month postoperative assessments. Only 3 to 15 percent of the cohort showed a change of at least one standard deviation in EF after surgery.
Postoperative deterioration could be explained by the resection of brain tissue that was still functional prior to surgery. Improvements over time might be due to plasticity and compensatory processes such as contralateral takeover or perilesional reorganization. Immediate improvements after surgery might be due to the release of reserve capacities in brain regions that were previously dysfunctional due to epileptic activity. In conclusion, pediatric epilepsy surgery can be considered a safe treatment option with regard to EF. Prospective studies on the long-term outcomes of various EF domains in this context are needed to confirm these findings. The present study is the first long-term study to focus on the development of EF in a large, representative pediatric epilepsy surgery cohort.
Document type: | Dissertation |
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Supervisor: | Reuner, Prof. Dr. Gitta |
Place of Publication: | Heidelberg |
Date of thesis defense: | 8 July 2025 |
Date Deposited: | 01 Aug 2025 08:35 |
Date: | 2025 |
Faculties / Institutes: | Medizinische Fakultät Heidelberg > Universitätskinderklinik |
DDC-classification: | 150 Psychology 370 Education 610 Medical sciences Medicine |