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„Kakanien – Arcadien“: Gartenästhetik in Osteuropa als Zivilisationsentwurf im 18. und 19. Jahrhundert

Stolberg, Eva-Maria

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PDF, German
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Abstract

Der Beitrag untersucht den Einfluss der Gartenästhetik als Matrix für die Identitätsfindung im östlichen Europa des 18. und 19. Jahrhunderts, die sich in europäischen wie auch nationalen Projektionen widerspiegelte. (Garten-)Ästhetik als Matrix für die „mental map“ des europäischen Ostens wurde gleichzeitig von kontroversen gesellschaftlichen, kulturellen, technologischen und ökonomischen Entwicklungsprozessen zwischen aufgeklärtem Absolutismus/europäischer Adelsgesellschaft und industrieller Moderne/nationaler Bürgergesellschaft modelliert und war damit selbst Wandlungen unterworfen. Gartenästhetik als west-östlicher Kulturdialog ist bisher weder von der Kunstgeschichte noch von der historischen Osteuropaforschung thematisiert worden, denn mit dem Osten Europas wird eine eher wilde als kultivierte Landschaft assoziiert. Seit der Renaissance widersprach die grenzenlose Weite der osteuropäischen Landschaft dem ästhetischen Naturempfinden westeuropäischer Reisenden. Ästhetik setzt normative Grenzen, sie ist eine anthropologische Kategorie, die ein Ideal von Natur konstruiert. Auch die osteuropäischen Eliten (Monarchen, Adel) des 18. Jahrhunderts empfanden die osteuropäische Landschaft als unwirtlich und unzivilisiert. Im 18. Jahrhundert wurde Adelskultur in Osteuropa zunehmend von westeuropäischen Konventionen geprägt, die den Eintritt in die europäische Neuzeit markierten. Osteuropäische Herrscher und Adlige nutzten den Garten als Repräsentation ihrer Zugehörigkeit zur gesamteuropäischen Adelskultur. Die Gärten als landschaftliche Konstrukte im überschaubaren und damit planbaren Kleinformat hatten mit der natürlichen Topografie Osteuropas nicht viel zu tun. Dies galt um so mehr, als Gärten die Funktion eines sozialen Raumes zukam. Der Garten im 18. Jahrhundert war ein Ort des adligen Diskurses. Vor allem die Gärten in Warschau und St. Petersburg geben Aufschluss über den geistesgeschichtlichen Aufbruch Osteuropas zur europäischen Adelskultur. Gartenästhetik hatte in ihrer öffentlichen Repräsentation eine politisch-soziale Funktion, sie stand für den Dialog zwischen Herrscher und Adel. Gartengestaltung in Osteuropa weist schließlich auf eine von Monarchen und Adel geförderte Planungsdisziplin, „Landschaft“ zu entwickeln. Im Unterschied zur wilden Naturlandschaft Osteuropas – man denke an die Karpaten oder die Volga – bedeutete der Garten im 18. Jahrhundert für den Adel, im 19. Jahrhundert für das entstehende Bürgertum eine Ästhetik der grünen Gediegenheit und ein Symbol für (scheinbar) überschaubare Lebensverhältnisse in einer sich verändernden sozialen Umwelt vom Absolutismus zur industriellen Moderne. Europäisierung im 18. Jahrhundert und Nationalisierung im 19. Jahrhundert wurde durch eine Ästhetik mitgetragen, die teilweise gegensätzlich, wenn nicht sogar widersprüchlich wirkte. Multikulturalität in der Gartenästhetik rief in ihrer oszillierenden Wirkung jedoch nationalen und regionalen Widerspruch bereits im späten 18. Jahrhundert auf den Plan. Es zeigte sich die Tendenz, die eigenen kulturellen Wurzeln aufzuspüren – sei es in der Gartenrepräsentation des polnischen Adels in Abgrenzung zum Fremdherrscher oder Andrej Bolotovs „nationalrussisches“ Gartenkonzept. Es war die Rückbesinnung auf den Garten als ein „Ort der Heimat“ verbunden mit der Sehnsucht nach einer ländlichen Idylle – wie sie in der Poesie der beiden Nationaldichter Osteuropas Aleksander Puškin und Adam Mickiewicz zum Ausdruck kam.

Translation of abstract (English)

This essay explores the influence of garden aesthetics on cultural identity of Eastern Europe in the eighteenth and nineteenth centuries as a matrix of two – not completely diverging – paths of europeanization and nationalization. Garden aesthetics as a matrix of mental mapping was shaped by a multitude of social, cultural, technological and economic processes that accelerated with the era of enlightenment and industrialization. The vastness of the East European landscape and its meager nature made enlighteners and modernizers perplexed about their cultural belonging to the European civilization. Judging by Western aesthetics, the question arose why is “our landscape” unbeautiful? Garden aesthetics was essential for constructing a “noble, civilized” identity of East European elites that followed Western conventions. A “harsh and meager” nature was not appealing for cultural representation. This changed with the late eighteenth and early nineteenth century when an identifiable “eastern aesthetics” was created by Polish and Russian elites who – as landowners – rediscovered the rural landscape of Eastern Europe. In the poetry of Adam Mickiewicz and Aleksandr Pushkin the garden became a place to praise the beauty of Polish and Russian landscapes. The vast and boundless landscape became a symbol of the greatness of the Russian empire and of a future rebirth of the Polish nation. Although adopting Western aesthetics as a path to European identity, this did not exclude national (and regional) distinctiveness.

Document type: Article
Date: 2006
Version: Primary publication
Date Deposited: 06 Jun 2006 14:52
Faculties / Institutes: University, Fakulty, Institute > Bonn, University, Seminar für Osteuropäische Geschichte
DDC-classification: Landscaping and area planning
Controlled Keywords: Osteuropa, Gartenkunst, Geschichte 1700-1900
Subject (classification): Architecture
Countries/Regions: Germany, Switzerland, Austria