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Antikes Denken und mittelalterliche Musiktheorie - Teil I: Das Beispiel des Musikkapitels von Martianus Capella, Teil II: Zur Bedeutung philosophischer Systematik, vornehmlich in scholastischer Musiktheorie

Bielitz, Mathias

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PDF, German
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Abstract

Musikalisches Hören basiert nach antiker Vorgabe auf einem hierarchischem System von Abstraktionsleistungen, beginnend mit der Tonhöhe an sich, dem Intervall und der skalischen Ordnung des Tonsystems als Grundlage aller Melodien. Diese Fähigkeit zur Klassenbildung bzw. Invariantenbildung (u. a. Tonhöhe invariant gegenüber Klangfarbe, Intervall invariant gegenüber Tonhöhe, und skalische Ordnung invariant gegenüber kleineren Intonationsschwankungen) auf elementarer Ebene ist Ausdruck der musikalischen Gestaltbildungsfähigkeit auf höheren Ebenen (z. B. Akkordfolge invariant gegenüber Lage, spezifischer melodischer Gestalt, Gestalt invariant gegenüber aktueller Tonhöhe), die E. Kant so kennzeichnend nicht verstanden hat. Das Gleiche gilt für die Rhythmik, z. B. die Invarianz rhythmischer Gestalten gegenüber dem Tempo, der Klangfarbe etc. Daß nur diese beiden Faktoren musikalischer Gestaltbildung dienstbar gemacht werden können, daß Musik in ihrem eigentlichen Wesen eben die betreffende Gestalt ist, zu der die Ausführung als ästhetisch variable Individuation hinzutritt, war lange Zeit dominierende Vorgabe der antiken Musiktheorie für die abendländische Musikgeschichte, für die die Gegenüberstellung der notierten Form und ihrer jeweiligen Verwirklichung dominant geworden ist. Angesichts der kulturhistorischen Bedeutung dieser Vorgabe erscheint eine genaue Untersuchung des Vorgangs der Weitergabe der antiken Konzepte an das (lateinische) Mittelalter als berechtigte Fragestellung, die im vorliegenden Beitrag unternommen wird. Kulturhistorisch ist dieser Moment christlich abendländischer Kultureinheit deshalb von besonderem Interesse, weil die Weitergabe nicht in direkter Abhängigkeit geschehen konnte, sondern nur indirekt durch Wiedererarbeitung des Inhalts erhaltener literarischer Werke der Antike. Der Vorgang ist aber auch deshalb hochgradig nichttrivial, weil einmal die Kenntnis der betreffenden Inhalte in der Spätantike selbst verlorengegangen ist, zum anderen , weil die rein literarisch rezipierende Kultur (als Spätfolge der karolingischen Renaissance) nicht nur diese Inhalte mit erheblicher Mühe verstehen lernen mußte, sondern auch auf eine völlig andere Musikkultur, die des liturgischen Gesangs, beziehen mußte: Der reinen Musiktheorie der Antike folgt das Ideal des diese Theorie beherrschenden und auf ihr basierend rationalen Sängers der Liturgie. Als Beispiel des fast totalen Wissensverfalls kann das Musikkapitel der Schrift von Martianus Capella dienen, dessen Ignoranz sich in den Fehlern seiner Kompilation deutlich zu erkennen gibt – die „Methode“, solche Fehler einfach durch Verweis auf das von Martians Quellen Gemeinte zu „eliminieren“, erweist sich als unbrauchbar. Die Schriften von Boethius wie auch von Augustin zu den beiden, Musik in der Antike wesentlich ausmachenden Faktoren, Rhythmik wie Melik, können in ihrer kulturhistorischen Einmaligkeit nur verstanden werden, wenn man sie mit derartiger, literarisch gewordener, kompilatorischer Ignoranz in Bezug setzt. Im ersten Teil wird daher Martians Text sozusagen als Gerüst nutzend, versucht, das Wesen dessen, was an oder von antiker Musiktheorie im lateinischen Mittelalter übernommen und in neuer Weise angewandt wurde, unter stetem Bezug zu dem Gemeinten der eigentlichen antiken Texte zu verstehen; bemerkenswert ist dabei z. B. die Art des Fortlebens der beiden, in der Antike unvereinbaren, Modelle der Melik von Aristoxenus und „Pythagoras“ im Mittelalter, wie auch die Rezeption und Umwandlung der, nun beiden Schulen gemeinsamen, Rhythmustheorie. Ein weiteres Teilthema betrifft die Rolle von „Musik“ in der Philosophie von Johannes Scottus Eriugena. Im zweiten Teil wird versucht, die spezifischen Auswirkungen der sozusagen zweiten, eingeschränkten Antikenrezeption auf Musiktheorie zu bewerten: Welche Bedeutung hat die gelegentliche „Scholastifizierung“ musiktheoretischer Werke für die Geschichte der musikbezogenen Reflexion, vor allem aber speziell für die neuen Leistungen der Musiktheorie, die Notierung rhythmischer Gestalten und die Schaffung von Regeln des mehrstimmigen Satzes. Es ergibt sich, daß die Eigentradition der mittelalterlichen Musiktheorie hier wesentlich ist, die scholastischen Formulierungen und Systematisierungen dagegen durchweg eher erkenntnisbehindernd, nicht aber schöpferisch sind. Damit werden vorgängige Arbeiten zur eigentlichen Aussage und ihrer Grundlage im Buch von Johannes de Grocheo fortgesetzt und erweitert. Hier bildet das Werk von Jacobus von Lüttich den natürlichen Ausgangspunkt. Wie schon in früheren Beiträgen des Verf. verdankt dieser besonders den so erstaunlich zahlreich vorliegenden Fehldeutungen wesentliche Anregungen: Die ausführliche Diskussion dessen, was alles falsch gedeutet werden kann, in Vergleich mit dem von den Quellen wirklich Gemeinten ist eine stets in Fülle sprudelnde Quelle von, teils überraschenden Fragen zum Thema. Weitere freie Schlagworte: Aristoxenus und „Pythagoras“, Aristides Quintilianus, Boethius, Augustin, Aurelian, Johannes Scottus Eriugena, Musica Enchiriadis, Remy von Auxerre, Guido von Arezzo, Johannes de Garlandia, Jacobus von Lüttich und (u. a.) Johannes Gerson.

Document type: Book
Date Deposited: 07 Oct 2011 13:28
Date: 2011
Faculties / Institutes: Philosophische Fakultät > Musikwissenschaftliches Seminar
DDC-classification: 780 Music
Controlled Keywords: Musiktheorie, Antikenrezeption, Scholastik, Mehstimmigkeit, Martianus <Capella>
Uncontrolled Keywords: Musikalische Gestaltbildung und ihre musiktheoretische Rationalisierung, Reflexion von Musik und musikalischer Praxis , Modaltheorie, Mehrstimmigkeit
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