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Abstract
Die Masterarbeit „Spiegelbild oder Zerrbild? Eine kunstpsychologische Analyse der Fotografien von Diane Arbus“ entstand nach einem Forschungsaufenthalt an der University of California, Berkeley, und untersucht die komplexe Wechselbeziehung zwischen Selbstbild, Fremdbild und gesellschaftlicher Wahrnehmung im fotografischen Werk der US-amerikanischen Künstlerin. Im Zentrum steht die Frage, inwiefern Arbus’ Fotografien als Spiegelungen der Wirklichkeit oder als verzerrte Abbildungen individueller und kollektiver Identität gelesen werden können – und ob Spiegelung und Verzerrung selbst als bewusste künstlerische Strategien fungieren.
Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Beobachtung, dass Arbus’ Porträts gesellschaftlicher Außenseiter – von der Kunstkritik häufig als „Freaks“ oder „Exzentriker“ bezeichnet – seit ihrem Suizid im Jahr 1971 einer doppelten Rezeptionsbewegung unterlagen: Sie wurden sowohl mythologisiert als auch psychologisiert. Der durch ihren Tod entstandene Filter überdeckt bis heute den Blick auf das eigentliche Œuvre und lenkt die Wahrnehmung ihrer Arbeiten durch biografische und mediale Zuschreibungen. Ziel der Arbeit ist es daher, diesen Blick kritisch zu hinterfragen und Arbus’ Werk durch kunstpsychologische, ikonografisch-ikonologische und rezeptionsästhetische Methoden auf ein wissenschaftlich-analytisches Fundament zurückzuführen. Der interdisziplinäre Ansatz verbindet die psychologische Betrachtung innerer und äußerer Spiegelmechanismen mit kunsthistorischen Bildanalysen. Kapitel drei widmet sich den formalen Spiegelungen – etwa symmetrischen oder diagonalen Achsen, Selbstzitaten oder visuellen Doppelungen – und verortet sie in kunsthistorischen Traditionen, von den manieristischen Spielfiguren bis hin zur fotografischen Selbstinszenierung des 20. Jahrhunderts. Kapitel vier untersucht gesellschaftliche Spiegelungen, in denen Arbus’ Werke weniger ein vollständiges Gesellschaftsbild als vielmehr ein sozialpsychologisches Panorama repräsentieren: eine „Antigalerie“ der Abweichung, in der gesellschaftliche Maskeraden und Inszenierungspraktiken subtil kommentiert werden. Schließlich beleuchtet das Kapitel zu den biografischen Spiegelungen den Einfluss posthumer Mythisierungen und der Nachlassverwaltung auf die Wahrnehmung der Künstlerin, deren Bild durch Rezeptionsfilter, Kuratorenentscheidungen und Vermarktungsstrategien nachhaltig geprägt wurde. Im analytischen Zentrum steht die kunstpsychologische Perspektive auf Maskierung, Demaskierung und visuelle Verzerrung als doppeldeutige Gestaltungsprinzipien. Arbus’ Fotografien erscheinen einerseits als Versuch der Demaskierung gesellschaftlicher Rollenbilder, andererseits als Schutzmechanismus für die von ihr porträtierten Individuen. In diesem Spannungsfeld zwischen Authentizität und Inszenierung entfalten die Fotografien ihre ambivalente Wirkung: Sie wirken zugleich als Spiegel und als Zerrbild einer Gesellschaft, die ihre eigenen Normen, Ängste und Projektionen im fotografischen Blick der Künstlerin wiedererkennt. Das Fazit verdeutlicht, dass Arbus’ Werk in einem dialektischen Verhältnis zwischen dokumentarischer Authentizität und ästhetischer Manipulation steht. Ihre Fotografien offenbaren sich erst durch die Bereitschaft des Betrachters, sie kritisch zu rezipieren: als doppeldeutige Spiegelbilder, die sowohl die Inszenierung der Subjekte als auch die Maskerade einer ganzen Epoche reflektieren. In der Dekonstruktion gesellschaftlicher Schönheitsideale und Rollenbilder werden ihre Arbeiten zu Sinnbildern einer ästhetischen Wahrhaftigkeit, die den Makel als Form des Menschlichen anerkennt. Die Studie leistet damit einen Beitrag zu kunsthistorischen und kunstpsychologischen Neubewertung von Diane Arbus’ Werk, indem sie die Künstlerin aus der Verklärung ihrer posthumen Mythisierung löst und ihre Arbeiten als vielschichtige, gesellschaftlich relevante und psychologisch tiefgründige Zeugnisse ihrer Zeit positioniert.
Translation of abstract (English)
The master’s thesis “Mirror Image or Distorted Image? A Psychoanalytic Study of Diane Arbus’ Photographs” was developed following a research stay at the University of California, Berkeley, and examines the complex interplay between self-image, external perception, and societal recognition in the photographic work of the American artist Diane Arbus. At its core, the study investigates to what extent Arbus’ photographs can be read as reflections of reality or as distorted representations of individual and collective identity – and whether reflection and distortion themselves function as deliberate artistic strategies. The point of departure is the observation that Arbus’s portraits of social outsiders – often referred to as “freaks” or “eccentrics” – have been both mythologized and psychologized since her death in 1971. Through an art-psychological analysis and a critical examination of the posthumous reception of her oeuvre, the study seeks to liberate the perception of her work from biographical distortions and establish it on a scholarly-analytical foundation. The research considers not only Arbus’s artistic environment but also the influence of curators, publishers, and estate administrators. By investigating formal, social, and biographical phenomena of mirroring, the study reveals mechanisms of masking, unmasking, and visual distortion that Arbus employed both as artistic strategies and as protective forms of self-mythologization. A systematic image analysis allows for the exploration of compositional structures, symmetries, and iconographic traditions, leading to an updated contextualization of her work. Methodologically, the study follows an interdisciplinary approach combining art-psychological, iconographic-iconological, and reception-aesthetic methods. It applies a hermeneutic-analytical framework that focuses on the dynamic interrelation between artist, artwork, and viewer. The findings demonstrate that Arbus’s photographs oscillate between documentary authenticity and staged manipulation. Within this ambivalence, they emerge as mirror images of a society that recognizes its own norms, contradictions, and projections within the photographic gaze of the artist. In this sense, her work forms a critical “anti-gallery,” subtly exposing the performative masquerades and social constructs of the 1960s. Ultimately, the study contributes to a renewed art-historical and psychological reassessment of Diane Arbus’s oeuvre – beyond the boundaries of biographical myth.
| Document type: | Master's thesis |
|---|---|
| Date: | 2025 |
| Supervisor: | Dr. Bernd Mohnhaupt |
| Version: | Primary publication |
| Date of thesis defense: | 14 December 2017 |
| Date Deposited: | 05 Nov 2025 18:57 |
| Faculties / Institutes: | Research Project, Working Group > Individuals |
| DDC-classification: | Photograpy, computer art |
| Controlled Keywords: | Arbus, Diane, Kunstpsychologie, Selbstbild, Fremdbild, Außenseiter <Motiv> |
| Subject (classification): | Artists, Architects Iconography Photography |
| Countries/Regions: | United States, Canada |








